C 2.Untersuchungsorganisation

2. Untersuchungsorganisation

Bei den durchgeführten empirischen Untersuchungen handelt es sich um gerätebezogene Experimente, wie Blickbewegungsregistrierung, tachistoskopische Tests, Logfileanalyse, bildschirmorientierte Bewertung mit Hilfe Semantischer Differenziale ergänzt durch Befragungen und Interviews. Wie bei solchen aufwendigen Experimenten üblich, ergaben sich Untersuchungsgruppen mit einer Größe von 10 bis 15 Probanden, an die häufig große Anforderungen hinsichtlich Konzentration und Ausdauer gestellt wurden. Es sollte herausgefunden werden, welche Leistungen, Verhaltenstendenzen und Bewertungen unter bestimmten Wahrnehmungsbedingungen und Präsentationangeboten zu erwarten sind. Eine Repräsentativität nach statistischen Maßzahlen konnte dabei nicht angestrebt werden.
Ein Aspekt der Untersuchungen ergab sich hinsichtlich des Stellenwerts emotionaler und kognitiver Wahrnehmungsfaktoren im Rahmen von Aufgabenstellungen und in Abhängigkeit von den präsentierten Kartographischen Darstellungsmodellen. Es stellte sich die Frage, in welchem Umfang beeinflussen die in Kap. 1.5 genannten Wahrnehmungsfaktoren wie Interesse, Motivation, Einstellung, Kompetenz, Wissen, Erwartung etc. die verschiedenen zu untersuchenden Wahrnehmungsprozesse? Oder wie wirken sich die mit dem Gebrauch der Modelle verbundene Konventionalität oder empfundenen Reize der Ästhetik und Anmutung aus? Besonders deutlich sind auch Beeinflussungen durch situationsspezifische und psychisch dispositionelle Faktoren zu erwarten, wie etwa durch die momentane Konzentration, Aktivierung, Aufmerksamkeit und durch Bedürfnisse und Erwartungen, die von den Probanden in unterschiedlicher Ausprägung ausgehen können.
Die genannten Faktoren wirken nicht nur personen-, präsentations- und situationsspezifisch, sondern sie unterliegen tradierten kartographischen Gewohnheiten und Erfahrungen. Diese überlagern quasi die “allgemeinen“ Faktoren und ihre zu erwartenden Einflüsse. Sie sind aber prägend, wie aus den zahlreichen in Trier durchgeführten Untersuchungen hervorgeht. Die genannten Wahrnehmungsfaktoren konnten als besonders wirkungsrelevant identifiziert werden. Es muss allerdings angemerkt werden, dass deren Registrierung nicht unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgte, also keine separaten oder begleitenden Fragestellungen darstellen, sondern mehr oder weniger „wertneutral“ registriert wurden.

2.1 Ziel der Untersuchung

Die Untersuchungen zielen auf die Gewinnung von Grundlagenerkenntnissen über die Funktion und Wirkung von sieben ausgewählten Kartographischen Modellformen, von denen mehrere besonders häufig in der Praxis Verwendung finden, wie die mediale Situation der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 deutlich zeigt. Das experimentelle Ziel der Untersuchungen liegt nicht nur in der Analyse oder Absicherung von wissenschaftlichen Theorien oder Hypothesen, sondern diente der Funktions- und Wirkungsüberprüfung ausgewählter Modellformen. Untersucht werden in Experimenten und Befragungen Strukturen und Unterschiede in den zum Teil durch Aufgabenstellungen initiierten Wahrnehmungsvorgängen sowie in der Einschätzung ihrer möglichen Wirkungen. Die von den Versuchspersonen in den Experimenten zu ermittelnden Untersuchungsgrößen wurden nach methodischen und an der Praxis orientierten Kriterien ausgewählt und repräsentieren die elementare Basis wahrzunehmender Informationselemente in Karten. Die Ergebnisse der Experimente wurden mit den vorgegebenen Untersuchungsgrößen verglichen und bewertet und als spezifische Wirkungskategorien der einzelnen Modellformen bestimmt.
Dabei kann in einem Experiment nur bedingt ein realistischer Ablauf der Kartenwahrnehmung reproduziert werden. Der wesentliche Unterschied zwischen der Beobachtung eines natürlichen Ablaufs und eines Experimentes besteht nach dem Lexikon der Psychologie (2020) „in dem absichtlichen, planmäßigen Herbeiführen eines Ereignisses unter kontrollierten und reduzierten Bedingungen zum Zwecke der möglichst vollständigen, genauen und wiederholbaren Beobachtung.“
Die grundlegende Überlegung der Untersuchung ergibt sich aus den erheblichen Abweichungen des optischen Angebots bzw. der graphischen Struktur der Modellformen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten bzw. Einschränkungen bei der Ableitung von Informationen. Zu den einzelnen Modellvarianten gibt es bisher keine nachvollziehbaren und vergleichbaren Erkenntnisse, die deren optische und informationsbezogene Wirkungen beschreiben. Da sämtliche untersuchten Modellformen auf der Basis identischer georäumlichen Daten konstruiert werden können, besteht gleichfalls die theoretische Möglichkeit, sie für die praktische Anwendung beliebig auszuwählen, ohne dass bekannt ist, welche Stärken oder Schwächen der Informationsableitung ihnen zukommt.

Optische Merkmale von Modellformen lassen sich in wahrnehmungstheoretischer Hinsicht nicht unmittelbar unterscheiden, sie bestimmen zwar ihren graphischen Charakter, nicht aber unmittelbar ihre visuelle Wirkung im Wahrnehmungsprozess. Auch die konstruktiven Prinzipien, nach denen die einzelnen Modellformen generiert werden, können nur bedingt als Faktoren für die Beurteilung der mit ihnen im Zusammenhang stehenden visuellen Prozesse herangezogen werden. So existieren Elemente, wie etwa Verwaltungsgrenzen oder Grenzen von Flächennutzungen, denen grundsätzlich eine unmittelbare repräsentative Funktion zukommt (Abb. 21.1). Es existieren aber auch Elemente, die – wie in Abb. 33.2 in Teil B der Arbeit beispielhaft gezeigt ist – lediglich über konstruktive Funktionen verfügen, die ohne zugeordnete Bedeutung graphische Konstrukte begrenzen, trennen oder gliedern. Dabei entsprechen diese Elemente häufig den zugrundliegenden Daten mit ihren räumlichen Verortungsdimensionen (z.B. Choroplethen), oder sie sind konstruktive Gebilde, die aus räumlicher Sicht den zugrundeliegenden Datenbezugseinheiten nur indirekt visuell zugeordnet werden (z.B. Flächendiagramme). Des Weiteren lassen sich Konstruktionsformen unterscheiden, die aus einer Menge von Einzelelementen bestehen, wie beispielsweise bei der sogenannten „Scharung von Isolinien“ (Isarithmen ), die für die Abbildung von Sachthemen  als Cluster von Dichte-, Form- und Ausrichtungsmerkmalen Informationen vermitteln sollen. Besonders auffallend sind Konstruktionsformen, die aus regelmäßigen geometrischen Gittern bestehen (z.B. Gittersignaturen), und damit keine unmittelbare räumliche Positionszuordnung ermöglichen sowie außerdem nicht natürlichen Umweltvorstellungen entsprechen.

Wie die Beispiele zeigen, beziehen sich die konstruktiven Elemente einerseits auf elementare visuelle Beeinflussungen, also fungieren als optische Hindernisse, führen zu gedanklichen Widersprüchen, verhindern deutliche Abgrenzungen und ermöglichen oder verhindern Vergleiche zwischen optischen Ähnlichkeiten. Zum anderen haben sie Einfluss auf die Zuordnung von Daten zur Vorstellung von räumlichen Bezugseinheiten und unterstützen die visuelle und gedankliche Herstellung von graphischen Szenerien mit den jeweiligen inhaltlichen Repräsentationen bzw. mit den damit verbundenen emotionalen und gedanklichen Vorstellungen.

Abb. 21.1 Konstruktive und graphische Struktur der Modellformen
Bei Berücksichtigung dieser nicht ohne weiteres systematisch zu gliedernden Merkmale und Faktoren wird vielleicht deutlich, dass es nicht problemlos möglich ist, deren Wirkungen und visuell-kognitiven Einflüsse im Rahmen der Wahrnehmung zu isolieren und zu identifizieren. Für die vorliegende Untersuchung wurde daher entschieden, den Schwerpunkt der Fragestellungen einerseits besonders auf die Ausprägung der Beeinflussung der jeweiligen Wahrnehmungsprozesse zu legen, die im Rahmen der jeweils angebotenen Kartenvorlagen im Mittel messbar sein sollten, und andererseits zu versuchen, die im Rahmen der Experimente erzielten Messergebnisse der Blickbewegungsregistrierung mit den hypothetischen Annahmen über die Funktion der Modellvorstellungen zu vergleichen. Die differenzierten Ergebnisse dazu werden im Rahmen der vier Untersuchungsblöcke dargestellt (siehe. Kap. 3 bis 6).

2.2 Untersuchungsdesign

Das Untersuchungsdesign bzw. der Untersuchungsplan (FSE = Forschungsmethoden, Statistik, Evaluation) charakterisiert die methodische Anlage und Vorgehensweise einer empirischen Untersuchung (vgl. Döring 2020Döring, N. (2020): Forschungsdesign. Dorsch, Lexikon der Psychologie. 19. Auflage, Bern
). Welcher Untersuchungsplan mit welchen Methoden und Forschungsansätzen zu wählen ist, richtet sich nach den Anforderungen, die an das zu lösende Forschungsproblem gestellt werden, sowie an die zeitlichen, personellen und finanziellen Mittel (Ressourcen), die zu Verfügung stehen. Im vorliegenden Fall spielen vor allem auch optisch-elektronische Laborgeräte eine Rolle (Blickbewegungsregistrierung, Tachoskopie, Gruppentest und -befragung am Bildschirm), ohne deren Einsatz visuelle Untersuchungen und empirische Experimente in der Kartographie nicht mehr denkbar sind. Dazu kommen unterschiedliche Stichprobenstrukturen, Ergebnisregistrierungs- und Datenanalyseverfahren, die als genormte Strukturen übernommen oder – wie zum Teil im vorliegenden Fall – auch extra entwickelt worden sind.
Eine grundlegende Entscheidung zur Wahl des Untersuchungsplanes ist die Frage nach der wissenschaftstheoretischen Methode, also ob qualitative, quantitative oder gemischte Methoden angewendet werden sollen. Im vorliegenden Fall spielt der Nachweis einer Ursache-Wirkungs-Relation eine wichtige Rolle, die vor allem quantitativ-experimentell zu erreichen ist. Bei einem besonders heute aktuellen Design, das u.a. in der medizinischen und sozialwissenschaftlichen Forschung Verwendung findet, wird eine hohe Qualität eines Forschungsdesigns („innere Validität“) vorausgesetzt (vgl. Westermann 2017Westermann, R. (2017): Methoden psychologischer Forschung und Evaluation: Grundlagen, Gütekriterien und Anwendungen. Stuttgart). Dazu werden einem Untersuchungsobjekt (Fragestellung) zwei zufällig ausgewählte („randomisierte“) Untersuchungsgruppen zugeteilt, bei denen die erste Gruppe einer gezielten Beeinflussung („Intervention“) unterliegt und mit Hilfe der zweiten Gruppe („Kontrollgruppe“) die Wirkung des Interventionseffektes bei der ersten Gruppe in Bezug auf ein Zielobjekt („abhängige Variable“) ermittelt wird. Interventionen dienen der Prüfung theoriebasierter Wirkungsmechanismen: Führt eine Intervention zu einem „theoretisch zuerkannten Effekt“, stützt diese die Theorieannahme.
Im vorliegenden Untersuchungszusammenhang ließ sich eine dem oben vorgestellten Forschungsdesign adäquate Form nur bedingt realisieren. Vor allem der zuletzt genannte Zusammenhang ist in seiner Aussage nicht zu erreichen, da in der Kartographie noch keine „theoriebasierten Wirkungsmechanismen“ für die Wirkung verschiedener Kartographischer Modellformen ermittelt und formuliert sind. Zum andern liegen keine Erkenntnisse vor, auf welche Wahrnehmungsbasis sich Interventionen beziehen können, um daraus deren Wirkungsgrad für die jeweils untersuchten Kartographischen Modellformen messen zu können. Es wurden daher die Ergebnisse des Blickverhaltens, als quantitative Untersuchungsform, mit ermittelten gedanklichen und emotionalen Reaktionen in qualitativer Form verglichen und bewertet. Die dazu erforderliche Vergleichbarkeit der Ergebnisse einzelner Modellformen ergab sich aus der strengen Versuchsanordnung, also der Vergleichbarkeit von Fragestellungen, Messmethoden und den situativen Laborbedingungen. Die Untersuchungsgruppen konnten nicht in randomisierter (zufällig ausgewählter) Form zusammengestellt werden, da der großen Anzahl erforderlicher Gruppen durch die Möglichkeiten des universitären Betriebs Grenzen gesetzt waren. Insgesamt kann so die realisierte Form der Untersuchungen als „Quasi-Experimente“ bezeichnet werden.
Quasi-Experimente sind so definiert, dass sie zwar hinreichend wissenschaftliche Gütekriterien erfüllen aber keine vollständige Kontrolle experimenteller Faktoren ermöglichen. Das heißt, bei ihnen wird zum Beispiel keine randomisierte Stichprobenauswahl vorausgesetzt. Ein wichtiges Kriterium von Quasi-Experimenten ist der Anspruch, externe Störvariablen, die mit abhängigen Variablen assoziiert sind, zu minimieren. Dies betrifft vor allem den Aspekt der externen Störvariablen, die aufgrund der wirksamen Laborsituation in Trier, wie etwa Unterbindung von außen einwirkenden Störungen, eindeutige und zurückhaltende Positionierung des Versuchsleiters ohne aufdringliche Beobachtung der Probanden oder gut durchorganisierter Ablauf der Untersuchung, positiv zu bewerten sind. Damit verbunden ist die externe Validität, dass die Wirkungseffekte, die unter Laborbedingungen ermittelt wurden, auch bei anderen Personen, Situationen und Zeitpunkten gegeben sind.

2.3 Voruntersuchungen

Zu Beginn der Untersuchungen ergab sich vor allem die Frage, in welchem Umfang das vorliegende Forschungskonzept realisiert werden kann (vgl. Abb. 23.1). Neben inhaltlichen, methodischen und technischen Fragen, die bei Forschungsprojekten am Anfang einer Strukturierung stehen, betraf dies vor allem den Umfang der Untersuchung, der von der beteiligten Forschergruppe in zeitlicher, instrumenteller und personeller Hinsicht realisiert werden kann. Schon zu Beginn wurde entschieden, dass das Projekt allein auf ausgewählte Kartographische Modellformen begrenzt werden sollte. Trotz dieser Eingrenzung konnte aufgrund der komplexen Fragestellungen noch nicht konkret abgeschätzt werden, welcher Umfang den Experimenten und Befragen zukommt, obwohl an gleicher Stelle in Trier seit Jahren eine große Anzahl vergleichbarer Untersuchungen durchgeführt wurde (vgl. Bollmann et al. 1999Bollmann, J.; Heidmann, F. u. Johann, M. (1999): Kartographische Bildschirmkommunikation. Forschungsbericht. In: Beiträge zur kartographischen Informationsverarbeitung. 13, Materialien, Universität Trier.
).Die Voruntersuchungen konzentrierten sich daher auf die Überprüfung der Frage, ob mit den zur Verfügung stehenden und zu entwickelnden Instrumenten die im Konzept vorgegebenen inhaltlichen Fragestellungen der Untersuchung realisiert werden können. Dazu wurden untersuchungsnah Experimente und Befragungen durchgeführt und sowohl die Ergebnisse als auch die Bedingungen der Durchführung sukzessiv überprüft und optimiert. Die Validität der inhaltlichen Ergebnisse wurde durch Wiederholung und Modifikation der Experimente und durch Befragung der VPn erreicht.Dabei mussten vor allem zwei Bedingungskomplexe unterschieden werden. Zum einen war zu überprüfen, inwieweit Fragestellungen, die durch das Forschungskonzept vorgegeben sind , durch Vorgänge, die von den Präsentations- und Messbedingungen der Blickbewegungsregistrierung sowie von der tachistoskopischen Darbietungsstruktur ausgehen, beeinflusst werden. Diese Vorgänge müssen so ausgerichtet sein, dass sie möglichst realen Vorgängen angenähert sind. Zum anderen müssen die Form und Struktur der Graphikelemente, die am Bildschirm präsentiert werden, realen Strukturen von Karten angenähert sein, da diese in Abhängigkeit von den Aufgaben und Fragen, die von den VPn bearbeitet werden, die Ergebnisse mitprägen.
 

Abb. 23.1 Ausschnitt des Forschungskonzeptes

Es ist also zu überprüfen, ob die Wahrnehmungs- und Kognitionsprozesse der VPn, den modellierten realen Vorgängen der Praxis entsprechen bzw. die abgeleiteten Informationen bzw. das gefundene Wissen die Inhalte der Fragestellungen abbilden. Das bedeutet, dass im Rahmen der Voruntersuchungen die Untersuchungsstruktur zum einen auf diese Bedingungskomplexe ausgerichtet sein muss, aber gleichzeitig dieser Anspruch mit der Machbarkeit methodischer und instrumenteller Möglichkeiten in Beziehung zu stellen ist.
letzter versuch  

DoppeltBeispiele für Clusteranalyse und „Interessengebiete“ – Areas of Interest (AOIs)

 

Abb. 23.2 Beispiele für die graphische und technische Entwicklung vonTestvorlagen
Aufgrund der umfangreichen und weitreichenden Fragestellungen der Untersuchungen, war zu erwarten, dass die Experimente und die sich daraus ergebenden Ergebnisse besonders von den Abbildungsbedingungen der graphischen und technischen Vorlagenstruktur beeinflusst werden. Als grundlegende Voraussetzung wurde daher angestrebt, dass der abgebildete geographische Raum von den Versuchspersonen nicht identifiziert werden kann. Es soll so verhindert werden, dass „individuelle Suchoperationen“ im Rahmen der Experimente die vorgesehenen Wahrnehmungsprozesse bzw. -ergebnisse verfälschen. So wurde als Testvorlage der Stadtgrundriss von Trier „gespiegelt“ und die Nordausrichtung verändert.

Zur Auswahl von verwendeten Farbreihen wurden Voruntersuchungen durchgeführt, um herauszufinden, welche unterschiedlichen Auswirkungen der Reihenbildungen bei den verschiedenen Modellformen sich ergeben. Es konnte allerdings nicht vermieden werden, dass sich in Abhängigkeit von den geometrischen Konstruktionsprinzipien der Modellformen unterschiedliche Farbverteilungen ergeben.

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Gestaltung der Ergebnisgraphik gelegt, die einmal von der Software des Tobii-Systems (siehe Kap. 2.6.) vorgegeben ist zum anderen aber auch gezielt entworfen und realisiert werden musste.

2.4 Versuchsaufbau

Die Untersuchungen lassen sich in vier Teilexperimente gliedern, für die jeweils individuelle Fragestellungen, Teilhypothesen und Untersuchungsdesigns entwickelt werden mussten. Die Formulierung der Fragestellungen gingen von der Annahme aus, dass sich die Wahrnehmung und Erfassung von Graphik- und Informationsmustern, die Verfolgung und Entdeckung von bestimmten Informationsmerkmalen sowie der visuelle Aufwand bei der Identifizierung von optischen Einzelszenen in Bildschirm-Kartenvorlagen testtheoretisch nur schwer vereinheitlichen lassen. Die Ergebnisse der Experimente konnten aber auf der Basis einer formulierten Annahme (Hypothese) durchaus zu einer übergeordneten Fragestellung zusammengefasst werden.
Der gesellschaftliche und wissenschaftliche Stellenwert dieser Fragestellung ließ sich durch die weltweite und umfassend auftretende Corona-Pandemie 2020/2021 überraschend verdeutlichen und bestätigen. Denn begleitet wurde dieses Ereignis von einem nicht vorauszusehenden medialen Bedürfnis und einer Notwendigkeit nach georäumlichen Informationen zur geographischen Verbreitung und Intensität von SARS-CoV-2-Infizierungen und daran Verstorbener. Es hat sich wohl bisher noch keine vergleichbare Situation ergeben, in der thematisch Karten in diesem Umfang und dieser Vielschichtigkeit in sämtlichen Medien der Welt erschienen sind. Ihre Herstellung und Anwendung erfolgte zum Teil mit wissenschaftlichem Hintergrund über Monate verteilt sowie in kürzesten Abständen aktualisiert und in interaktiver Form. Datengrundlagen bzw. Bezugseinheiten, die in entsprechenden Karten differenziert werden, waren vor allem Gemeindeteile (z.B. Stadtbezirke), Gemeinden (Städte), Staatsgebiete wie z.B. Landkreise und Bundesländer, Staaten und Erdteile (vgl dazu die Karten in Teil B Kap. 2, Abb. 21).
Aus diesem Ereignis, mit zu dieser Zeit nicht abschätzbaren Folgerungen für die gesamte Weltbevölkerung, kann der Stellenwert der Fragestellung der Untersuchung verdeutlicht werden, ob nämlich die dabei genutzten Kartographischen Modellformen wie Flächendiagramme, Choroplethen, Gestufte Gittersignaturen und Diskrete Niveauflächen, die in den Medien in unterschiedlicher Form erschienen sind, logisch richtig präsentiert werden sowie die angebotenen Informationen räumlich und inhaltlich angemessen abgeleitet und das gewonnene Wissen sinnvoll verwendet werden können. Der letzte Teil der Frage steht im Zusammenhang mit den davor formulierten Fragen, die wiederum das Thema der vorliegenden Untersuchung darstellen:
  • Mit welcher Effektivität und mit Hilfe welcher gedanklichen Prozesse werden wichtige ausgewählte kartographische Modellformen genutzt? Wie unterscheiden sich die visuell-gedanklichen Vorgänge bei der Wahrnehmung der Modellformen und welche auffälligen Schwächen oder Stärken sind erkennbar und lassen die Festlegung eines Leistungsstandards der untersuchten Modellformen zu?
Die Untersuchung dieser Fragestellungen stützt sich auf vier Repräsentationsformen, die auf eine zunehmende Konkretisierung des unmittelbaren Prozesses der Informationsgewinnung ausgerichtet sind. Damit sollen die unterschiedlichen Wirkungseigenschaften der Modellformen herausgefunden und gegebenenfalls nähere Erklärungen für die zu erwartenden Abweichungen zwischen den zentralen Prozessen der Informationsverarbeitung ermöglicht werden.
Die Untersuchungen 1 bis 3 (U1 – U3) sind auf unterschiedlich konkrete Identifizierungsprozesse der sieben Kartographischen Modellformen ausgerichtet. Es soll deutlich werden, wie sich Unterschiede in der Verteilung der Aufmerksamkeit als Ausdruck des Blickverlaufs in den Kartenvorlagen bei der Vorgabe von zunehmend konkreteren Zielvorgaben zeigen. Abweichend davon soll als vierte Variante (U4) ermittelt werden, wie sich der visuelle Aufwand für die Identifizierung konkreter Graphikszenerien in den sieben Modellformen unterscheidet. Die Untersuchungen 1 bis 3 werden in messtechnischer Hinsicht mit Hilfe der Methode der Blickbewegungsregistrierung und die Untersuchung 4 mit Hilfe tachistoskopischer Methoden durchgeführt. Ergänzt werden die Untersuchungen durch weitere empirische Methoden und Verfahren, die weiter unten noch erläutert werden.

In Abb. 24.1 ist die Struktur der durchgeführten Untersuchungen und Experimente zusammengefasst. Die Gliederungen in Untersuchungsgruppen (UG) ist abhängig von dem Umfang der Aufgaben, die die Versuchspersonen zu erfüllen hatten. Bei U1 und U2 sind die Aufgabenstellungen jeweils für die sieben Modellformen so umfangreich, dass diese in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die Gliederung von U3 orientiert sich vor allem an verschiedenen Aufgabenstellungen und dem Aufwand, den die VPn leisten müssen. Das gleiche gilt für die tachistoskopischen Aufgabenstellungen von U4, bei der separate Aufgabengruppen gebildet werden. Im Folgenden sind Auszüge aus den Konzeptanleitungen für den praktischen Ablauf der Experimente aufgeführt:

Tab 22cAbb. 24.1 Organisationsplan für die Untersuchungen U1 bis U4

Untersuchung 1 2.4Untersuchung 2 2.4  

 

 

Untersuchung 3 2.4Untersuchung 4 2.4 Abstufungen 2.5

Abb.24.2 Farbreihen  für sämtliche Teiluntersuchungen

 

 

2.5 Versuchspersonen und Stichprobe

Für die Differenzierung des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung, sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Zum einen werden mit Hilfe von Messungen und Beobachtungen das Verhalten von Versuchspersonen (VPn) und daraus abgeleitet die Wirkungen und Wahrnehmungsmöglichkeiten von Kartographischen Modellformen ermittelt. Untersuchungsgegenstand sind also die Modellformen und der Unterschied ihrer Wirkungen. Zum anderen werden die reaktiven, gedanklichen und emotionalen Verhaltensmuster der VPn, das heißt, Aspekte des Vorgangs der Wahrnehmung und die dazu gehörigen Vorstellungen erfasst und analysiert. Es geht dabei nicht nur um „Wahrnehmungsleistungen“, wie etwa um den Erfolg (die Richtigkeit) und den Zeitaufwand der Informationsgewinnung, sondern unmittelbar um die Kriterien und Vorgänge der Informationsableitung und -verarbeitung selbst. Dazu werden zusätzlich zur Blickbewegungsmessung die physiologische Eignung der VPn für die Messungen, die fachlichen kartographischen Voraussetzungen der Versuchspersonen, die Einstellungen zu Faktoren der Untersuchung und deren Bewertung sowie das individuelle Verhalten im Rahmen der Experimente in Form von Protokollen und Logfiles erfasst und analysiert. Insgesamt sind die VPn also eine Quelle ermittelter Daten, die es entsprechend ihrer Ausprägungen und der zugehörigen Fragestellung zu bewerten gilt.
Der Auswahl von VPn, die für die Experimente zur Verfügung standen, wurden aufgrund der Lehr- und Forschungssituation im Fach Kartographie/Geoinformatik an der Universität Trier in räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht enge Grenzen gesetzt. Dies hatte mehrere Ursachen: Zum einen konnten neben Studenten aus dem kartographischen Bereich nur bedingt Studenten aus fachfremden Studiengebieten für die relativ aufwendigen und zum Teil inhaltlich und fachlich kaum zu vermittelnden Experimente gewonnen werden. Das lag u.a. auch daran, dass die in Frage kommenden Studierenden räumlich auf einem anderen Campus der Universität zu Hause waren. Zum anderen zeigten die Erfahrungen aus diversen Experimenten, die in den Jahren vor der Untersuchung im Fach durchgeführt wurden, dass ein störungsfreier Ablauf von Untersuchungen durch eine deutliche Grundmotivation für das Fach Kartographie am ehesten gewährleistet war. Und drittens war es praktisch nicht möglich, bei der Betrachtung der Untersuchungsgruppen die rd. 100 VPn in statistischer Hinsicht als Stichprobe zu definieren. Selbst bei einer Differenzierung in Fachleute und Nichtfachleute war bei den einzelnen Teiluntersuchungen nicht von einer vorauszusagenden Verteilung auszugehen. Schließlich zeigte sich, dass die schriftlich formulierten Aufgabenstellungen der einzelnen Untersuchungen zum Teil so anspruchsvoll waren, dass zu ihrem Verständnis und ihrer Ausführung ein grundlegender fachlicher Wortschatz und eine spezifische Graphikabstraktion erforderlich waren. So kann gefolgert werden, dass die Stichprobe eine Gesamtheit von VPn umfasst, die mindestens über wissenschaftliche Grundlagenkenntnisse in der Kartographie verfügen sollte (siehe Abbildung 25.1 als Beispiel (U2) für die Studienstruktur der VPn).  

Untersuchung 3 Studiengänge png Abb. 25.1 U3 mit 46 VPn aus neun Studiengängen: APG=Angewandte Physische Geographie; AUW=Angewandte Umweltwissenschaften; ABG=Angewandte Biogeographie

Die genannten Bedingungen und Voraussetzungen zur Rekrutierung von VPn lassen sich nur eingeschränkt auf stichprobentheoretische Vorgaben beziehen. So werden im Bereich der Stichprobentheorie probabilistische Stichproben danach unterschieden, dass sie nach Zufallsprinzipien aus einer Grundgesamtheit bestimmt werden: Die Auswahlwahrscheinlichkeit aller Objekte muss gleich hoch sein. Bei nicht-probabilistischen Stichproben ist dagegen die Auswahlwahrscheinlichkeit unbekannt oder unkontrollierbar. Der Rückschluss von einer Stichprobe auf eine Grundgesamtheit setzt voraus, dass ihre Zusammenstellung über einen objektiven Zufallsmechanismus erfolgt. Nicht-probabilistische Stichproben erfüllen diese Voraussetzung nicht, da die Zusammenstellung der Stichprobe nach subjektiven Kriterien erfolgt. Deshalb ist eine Verallgemeinerung der Ergebnisse auf eine Grundgesamtheit nicht zulässig. Nicht-probabilistische Stichproben sind in der akademischen Forschung weit verbreitet. Mit ihrer Hilfe können nach Döring (2019)Döring, N. (2019): Stichprobe. Dorsch, Lexikon der Psychologie. 19. Auflage, Bern verallgemeinerbare Aussagen über Kausaleffekte, die rein pragmatisch oder modelltheoretisch definiert werden, getroffen werden. So kann mit Gelegenheits- oder Selbstselektionsstichproben gearbeitet werden, die bewusst homogen gehalten werden und relativ klein sind.
Die vorliegende Untersuchung kann mit der Form der Auswahl von VPn der nicht-probabilistischen Methode zugerechnet werden. Die Stichprobe selbst ist mit dem Merkmal fachliche Kompetenz belegt. Allerdings sind damit weitere Eigenschaften oder Variablen von VPn nur eingeschränkt erfasst, denen ein Einfluss auf das Versuchsgeschehen zukommen kann. Dies sind beispielsweise Psychografische Variablen, wie Perfektionismus, Extraversion, Ängstlichkeit oder Intelligenz, Verhaltensvariablen, wie Arbeitsleistung, Weiterbildung, Konfliktverhalten und Kommunikationsverhalten sowie Soziodemografische Variablen, wie Geschlecht, Alter, soziale Schicht, kulturelle Herkunft, Bildungsniveau.
Im Kapitel 1.6 ist eine weitere Gruppe von Faktoren ausführlich behandelt worden, wie Konvention, Ästhetik, Kompetenz und Motivationen, deren Einfluss auf das Wahrnehmungs- und damit Experimentiergeschehen noch kaum erforscht ist (vgl. auch Tab. 16). Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt auf formal graphischen und semantischen Merkmalen von Fragestellungen, die in der Regel nur indirekt, das heißt bei den VPn nicht bewusst zum Tragen kommen. Dahinter steht dann die Frage, inwieweit diese elementaren Verhaltensweisen bzw. visuell-kognitiven Prozesse tatsächlich durch die oben genannten Faktoren und in welchem Umfang beeinflusst werden. Aus der in der Praxis geführten Diskussion gibt es Hinweise, dass beispielsweise die Faktoren Ästhetik (ästhetisch) und Konvention (konventionell) durchaus bei der Gestaltung von Karten berücksichtigt werden, um zum Beispiel den Prozess der Informationsgewinnung zu beeinflussen. Aber auch hier wieder die Frage, ob diesen Faktoren ein Stellenwert bei elementaren Prozessen zukommt, wie sie in der Untersuchung Thema sind, oder ob sie nicht vielmehr einen Einfluss auf anspruchsvollere Prozesse haben, wie etwa bei der visuell-kognitiven Auseinandersetzung mit einem präsentierten Karteninhalt mit dem Ziel, Handlungen anzuleiten und Aktionen zu steuern.