5.1 Visuelle Identifizierung von Wertkategorien

5.1 Visuelle Identifizierung von Wertkategorien

Mit diesem ersten Experiment ergab sich für die VPn ein relativ komplizierter Auftrag, der in zwei Phasen unterteilt ist. In einer ersten Phase müssen vorgegebene Punkte in der Kartenvorlage in beliebiger Abfolge mit dem Blick fixiert und gedanklich nach ihrer Wertigkeit bestimmt werden. Aus der Blickbewegungsstruktur soll der Suchverlauf der Blickbewegungen zur Identifizierung der vorgegebenen Punkte im Zusammenhang mit den  gedanklich festgestellten Wertebereichen ermittelt und bewertet werden. In der zweiten Phase sollen die VPn den ersten Wahrnehmungsvorgang wiederholen, das heißt, die vorgegebenen Punkte in beliebiger Reihenfolge identifizieren und deren Wertbereiche mit Mausklick als Minimum-, Maximum- oder Mittelwert kennzeichnen. Das bedeutet, dass mit der ersten Phase der eigentliche Wahrnehmungsvorgang mit gedanklicher Wertebestimmung und mit der zweiten Phase lediglich die Wertigkeit der Punkte registriert werden. Aus diesem Verfahren kann nun aus methodischen Gründen – wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde – nur eine statistische Verknüpfung zwischen visuell-gedanklicher Blickbewegungsstruktur und Wertbestimmung abgeleitet werden.
Aufgabenstellung und Auftrag:

„Sie bekommen im Folgenden mehrere Variationen einer Karte vorgelegt. In den Kartenvorlagen ist das Parkplatzangebot pro Baublock als Karteninhalt dargestellt. Prägen Sie sich die Farben für Minimal- Maximal- und Mittelwerte gut ein. Sie sollen während des Experiments einige konkrete „Aufträge“  zum Parkplatzangebot“ ausführen“

„Schauen Sie sich die folgende Karte an. Sie haben nun eine halbe Minute Zeit, in der Karte alle Minimal- /Maximal-/Mittelwerte zu suchen.“

„Jetzt wird Ihnen die Karte für maximal 30 Sekunden erneut gezeigt. Klicken Sie mit der Maus auf die von ihnen gefundenen Bereiche mit Maximal-/Minimal-/Mittelwerten.“

Abb. 51.1 Wertbereich; Parkplatzangebot pro Baublock (Gilt für alle Teiluntersuchungen dieser Testreihen)
Ermittelte Blickbewegungen und Antworten:
Die Auswertung der Antworten der Versuchspersonen gestaltet sich bei dieser Untersuchung äußerst schwierig. Lässt sich bei den Modellformen Choroplethen und  Flächendiagrammen die genaue Anzahl von Extrem- und Mittelwerten noch gut auszählen, so ist dies bspw. bei den Stetigen Niveauflächen fast nicht möglich.

Aus diesem Grund wurde jeweils die Anzahl gegebener Antworten und die Anzahl richtiger Antworten ermittelt. Außerdem wurde berechnet, wie viel Prozent der gegebenen Antworten falsch waren. Häufig wurden mehr Werte angeklickt als vorhanden waren.

In den folgenden Tabellen sind jeweils die erhobenen Werte für Maximal-/Minimal- und Mittelwerte dargestellt. Die Blickbewegungsdaten sind für die Testvorlagen der Identifikation der Werte (suchen) und der Auswahl der Werte (klicken) angegeben.

Aufgrund des Versuchsaufbaus ist nicht auszuschließen, dass die Identifikation von einzelnen Werten erst beim zweiten Durchgang, während des Anklickens vorgenommen wurde. Häufig ist die Anzahl an Fixationen und die Fixationsdauer beim zweiten Durchgang höher als beim ersten.
Tab 50.1 Identifizierung von Maximalwert (jeweils Mittelwert von 6 VPn)
Tab 51.2 Identifizierung von Mittelwerten
Tab. 51.3 Identifizierung von Minimalwerten
Die gemessenen und ausgewerteten Blickbewegungsdaten zur Identifizierung von repräsentierten thematischen Wertbereichen „Parkplatzangebot pro Baublock“ zeigen differenzierte Unterschiede zwischen den Modellformen und den identifizierten Wertbereichen. Bei den Maximalwertbereichen lässt sich aufgrund ihrer durchgängig reizintensiven Präsentation bei sämtlichen Modellformen eine vergleichsweise geringe Fehlerquote feststellen. Generell  scheinen die dunklen Farbabstufungen für „maximal Werte“ bei der Abgrenzung zu den helleren Farbbereichen eine erhöhte Sicherheit in der Unterscheidung und Zuordnung zu bewirken. Dabei zeigt Tab 51.1 , dass sich die „richtigen Antworten bzw „% falschen Antworten“ relativ gering unterscheiden, was bedeutet, dass die Wahrnehmung der max-Werte durch die Konstruktionen der Modellforme anscheinend gering beeinflusst wird.
Bei den Gestuften Gittersignaturen, Stetigen Niveauflächen und Schattierungen unterscheiden sich die Werte der gemittelten Dauer an Fixationen, „Fix(suchen)“ und „Fix(klicken), in der Tendenz von den Werten der vier anderen Modellformen. Dies weist darauf hin, dass der Aufwand an Fixationen für die Ableitung der Max-Werte bei den drei Modellformen relativ groß ist. Allerdings zeig sich bei der Fehlerquote der drei Modellformen kein vergleichbares einheitliches Bild, aus dem dann zum Beispiel auf ein „Niveau des schwierigen visuellen Zugriffs“ geschlossen werden könnte. Die Gestuften Gittersignaturen zeigen dabei den zweitbesten Wert bei der Sicherheit in der Bestimmung von max- Werten  aber mit dem zweithöchsten Mittelwertwert in der Dauer der dazu erforderlichen Fixationen. Bei den Choroplethen zeigt sich der beste Wert bei der Bestimmung des max-Wertes mit null Fehlern und mit dem zweitniedrigsten Wert in der Fixationsdauer. Obwohl der Unterschied in der  Fehlerquote zwischen beiden Modellformen relativ gering ist, weist der relativ geringe Wert in der Fixationsdauer bei den Choroplethen darauf hin, dass deren Konstruktionsstruktur weniger visuell-kognitiven Aufwand bei der korrekten  Wertidentifizierung erforderlich macht.

Abb 51.2 Fehlerquote beim Identifizieren

Abb. 51. 2 zeigt, wie viel Prozent der gegebenen Antworten im Durchschnitt falsch waren. Die hohen Werte beim Identifizieren von Mittelwerten bei Choroplethen, Diskrete Niveauflächen und Flächendiagramme resultieren daraus, dass nicht die genaue Farbklasse des Mittelwertes identifiziert wurde, sondern eine benachbarte Klasse. Aufgrund des Versuchsaufbaus ist nicht auszuschließen, dass die Identifikation von einzelnen Werten erst beim zweiten Durchgang, während des Anklickens vorgenommen wurde. Häufig ist die Anzahl an Fixationen und die Fixationsdauer beim zweiten Durchgang höher als beim ersten. Die Genauigkeit, Wertkategorien zu identifizierter, unterscheidet sich besonders zwischen den beiden Kategorien „Maximalwerte“ (A) und „Minimalwerte“ (C) gegenüber der Kategorie „Mittelwerte“(B). So wurden etwa die Kategorien B und C bei drei Modellformen und die Kategorie B bei vier Modellformen im Mittel mit „% falsche Antworten“ identifiziert.
Abb. 51.3 Anzahl Fixationen beim Identifizieren
Der Vergleich der Anzahl von Fixationen, die für die Identifizierung der einzelnen Wertbereiche nötig waren, zeigt keinen eindeutigen Trend. Die Verteilung ist bei den Isarithmen relativ ausgeglichen, hier wurde bei allen 3 Identifikationsvorgängen jeweils eine ähnliche Anzahl Fixationen benötigt. Eine hohe Anzahl an Fixationen war bei der Identifikation von Mittelwerten bei den Choroplethen und den Diskreten Niveauflächen nötig. Beim Identifizieren von Minimalwerten wurden hohe Fixationszahlen bei den Flächendiagrammen und den Stetigen Niveauflächen festgestellt.

Dies hängt einerseits mit der in den Karten vorkommenden Anzahl zu identifizierenden Werte zusammen, diese war beispielsweise bei den Flächendiagrammen relativ hoch. Andererseits ist dies auch ein Maß für die kognitive Beanspruchung: Je mehr Fixationen benötigt werden, desto schwieriger ist die Karte wahrzunehmen.

Abb. 51.4 Durchschnittliche Fixationsdauer beim Idenifizieren
Die durchschnittliche Fixationsdauer ist einerseits ein Maß für die Intensität der Informationsaufnahme, andererseits ein Maß für die kognitive Beanspruchung. Die größte Informationsmenge wurde demnach beim Identifizieren von Maximalwerten bei den Stetigen Niveauflächen aufgenommen. Die geringste Informationsmenge bei der Identifizierung von Minimalwerten bei den Diskreten Niveauflächen.
Beispiele von ausgewählten Versuchspersonen:

Gezeigt werden jeweils Grafiken aus der „Gaze Plot-Darstellung“ der Blickbewegungssoftware. Es wird zuerst die Grafik des ersten Durchgangs gezeigt („Identifizieren“), und im Anschluss daran das Ergebnis des zweiten Durchgangs mit den angeklickten Werten (x-Symbol). Die blauen Keise („Diagramme“) repräsentieren mit zunehmender Größe die Dauer der Fixationen. Die Zahlen innerhalb der Fixationskreise stehen für die Reihenfolge, nach der die Fixationen identifiziert wurden.

Hypothetische Abfolge von Identifizierungsvorgängen:

Mit den folgenden Blickbewegungsbildern wird versucht, visuell-gedankliche Operationen als zentrale Beispiele von Identifizierungsvorgängen in Kartographischen Modellformen abzuleiten. Leider ermöglicht die verwendete Methode der doppelten Messung von Blickbewegungen nur einen eingeschränkten Vergleich der visuell-gedanklich und durch Anklicken durchgeführten Ergebnisse. Außerdem können  durch die visuell erfolgten Interpretationen nur bedingt eindeutige Erkenntnisse erzielt werden. Die folgenden Ausführungen zu den Merkmalen von Identifizierungsvorgängen stützen sich auf theoretsche Vorstellungen, die sich partiell aus den bisher durchgeführten Untersuchungen in Trier ergeben haben.

 

Wie in Abb. 51.5a die Nummerierung der Fixationen sowie die Länge und Kreuzungen der Sakkaden zeigen, kann vermutlich davon ausgegangen werden, dass der Blick der Versuchsperson zu Beginn des Wahrnehmungsvorgangs (Fixation 1, 2, 3 … n) eher suchend und überlegen gesteuert und weniger gezielt und rasch auf die Abarbeitung des Auftrags ausgerichtet war. Vor allem die weiten Sprünge 1, 2, 3,.4, als relativ lange Sakkaden, und die Fixationen in Zielen mit unrelevanten Wertkategorien, lässt vermuten, dass der Auftrag noch nicht verstanden wurde oder der Inhalt durch Versuchsschritte erarbeite werden sollte. Die folgenden visuell-gedanklichen Vorgänge, können als Hinweise gesehen werden, welche Aktivitäten unter anderem in dieser ersten Phase der Wahrnehmung erfolgt sein können.

 

  • Visuelle und gedankliche Bereitstellung der im Antrag angegebenen Wertkategorie (mit Legende)
  • Visuelle Positionierung an einem aktuellen Startelement oder in einem relevantem Startbereich
  • Absichern der aktuellen Wertkategorie durch Vergleich mit nah oder entfernt positionierten Elementen und Werten
  • Visuell-gedankliche Festleg der angestrebten Identifizierungsabfolge im Blickfeld

 

Abb. 51.5a Visuell-gedankliche Operationen zu Beginn der Identifizierungen
Abb. 51.5  Identifizieren und Anklicken von Wertkategorien (Choroplethen, Minimalwerte)
Das Beispiel der Auswahl von Fixationen in Abbildung 51.6a zeigt vermutlich die gezielte Steuerung des Wahrnehmungsprozesses durch die Versuchsperson, mit der Vorstellung, den Prozessablauf so effektiv wie möglich zu gestalten. Dazu gehört die Analyse der vorgegebenen bildlichen Situation und die Fähigkeit, die Vorgabe der Verteilung der Elemente hinsichtlich ihrer visuellen Identifizierung gedanklich so aufnehmen, dass danach der Prozess erfolgen kann. Nach den unten aufgeführten Merkmalen ist es naheliegend, dass vor allem Lage-, Umgebungs- und Häufungsmerkmale bei der Identifizierung eine Rolle gespielt haben.

  • Identifizierung von gehäuft auftretenden Wertkategorien;
  • Identifizierung von Lage angenäherten Wertkategorien;
  • Identifizierung von Wertkategorien aufgrund reizbestimmter Umgebungsmerkmale: Größe, Form, Einfachheit, Deutlichkeit, Übersichtlichkeit;
  • Identifizierung von Wertkategorien aufgrund ihrer zuverlässigen Korrektheit.
Abb 51.6a Effeziente Auswahl der Wertkategorien
Abb. 51.6 Identifizieren und Anklicken von Wertkategorien (Gestufte Gittersignaturen, Mittelwerte)
  • Überprüfung von identifizierten Elementen durch Vergleich mit identischen oder verwandten Wertkategorien
  • unorganisierte Identifizierungsfolgen
  • Korrektur von Identifizierungsschritten
Abb. 51.7a Organisation und Korrektur der Identifizierung
Abb 51.7 Identifizieren und Anklicken von Wertkategorien (Schattierung, Maximalwerte)