4.2.6 Bildung von Informationsmustern

4.2.6 Bildung von Informationsmustern

Der Auftrag zur Nutzung einer Karte wird als eine sich individuell entwickelnde oder als extern vorgegebene Aufforderung verstanden, Informationen aus der Struktur von graphischen Elementen visuell-gedanklich abzuleiten. Graphische Element bilden insgesamt eine Konstruktionsebene, in der sie in Abhängigkeit von dem zu Grunde liegenden Konstruktionsprinzip in bestimmten Positionen zugeordnete und berechnete Werte repräsentieren. So unterscheiden sich die Konstruktionsebenen der sieben untersuchten Modellformen unter anderem darin, dass bei den Modellformen Flächendiagramme und Isarithmen der Eindruck von diskret unterteilten Elementn bzw. Werten entstehen kann, bei denen Bereiche ohne unmittelbare graphische Kennzeichnung existieren und deren Zuordnung durch zusätzliche visuelle Operationen erfolgen muss. Bei den fünf anderen Modellformen sind die Elemente der Konstruktionsebenen kontinuierlich verteilt, wobei bei den Modellformen Choroplethen und Gestufte Gittersignaturen die Verteilung in regelmäßig und unregelmäßig angeordnete Flächen erfolgt.
Durch die geometrische und inhaltliche Struktur von Elementverteilungen in der Konstruktionsebene bzw. im Sichtfeld ergeben sich in Abhängigkeit von den dargestellten Daten visuell-optische Zusammenhänge von Elementen, denen bestimmte abstrakte Bedeutungen zukommen können. Diese Bedeutungen bilden den eigentlichen Kern der strukturellen Informationsgewinnung in Thematischen Karten, wie sie in der Untersuchung eine Rolle spielen. So bilden die Elemente bzw. Daten in der Ebene Häufungen im unterschiedlichen Umfang und mit unterschiedlichem repräsentiertem Inhalt, geometrischer Form, Ausrichtung, Verteilung und Beziehung. Aus einem Teil dieser graphischen Strukturen ergeben sich räumliche Figurationen, die eine ikonische Ausprägung, also eine Bedeutung haben. Jede Figuration ergibt sich dabei aus zufällig verteilten Elementen,  denen visuell eine Ausprägung mit Bedeutung zukommt.
Dem Wahrnehmenden sind im Prozess der Informationsgewinnung diese Sachverhalte nur bedingt zugänglich. So muss als Voraussetzung durch einen Auftrag das Ziel der Informationsgewinnung vermittelt werden. Der Auftrag kann, wie ein individuelles Bedürfnis erst im Verlauf des Prozesses erfolgen oder sich ändern. Mit dem Auftrag kann sich beim Wahrnehmenden die Vorstellung einer bildlichen Figuration ergeben, wie etwa durch „Suche einen zentralen Bereich von Maximalwerten!“, oder suche eine Trennungslinie zwischen …, suche eine Häufung von … etc. Diese Vorstellungen bilden dann den ersten Anreiz zur Identifikation entsprechender Figurationen im Sichtfeld. Insgesamt werden vom Wahrnehmenden im Rahmen von Suchvorgängen Einheiten von Elementen mit unterschiedlicher Struktur gebildet und mit vorhandenen oder sich entwickelnden Vorstellungen verglichen.  

Die Einheiten ergeben sich gedanklich aus unterschiedlichen Elementformen und -verknüpfungen. Dabei spielen Physische Elemente als graphische Zeichengebilde eine Rolle, die im Sichtfeld als geometrisch angeordnete Reizeinheiten wahrgenommen werden. Oder es werden Fiktive Elemente verwendet, als wahrgenommene visuell-gedankliche Vorstellungseinheiten, denen keine oder keine aktuelle Bedeutung zukommt, die aber in graphischer (syntaktischer) Hinsicht zur gedanklich-visuellen Komplettierung der entsprechenden Einheit erforderlich sind. Es entstehen dabei Informationsmuster, die aus einer fertig modellierten Einheit gebildet werden und die auch „angeschnittene“ Elementgrundrisse und Elementbereiche umfassen können, die nicht zu der identifizierten Bedeutungsfiguration gehören. Ziel dieser gedanklichen Vorgehensweise ist es, „einfache“ gedanklich Figuration zu erhalten, die zum Beispiel für gedankliche Such- oder Vergleichsoperationen im Sichtfeld geeignet sind (vgl. Abb. 42.4). Abb.42.4 Beispiel für ein geometrisch  „vereinfachtes“ Informationsmuster; Bedeutung: „Häufung maximaler Werte“
Unter Informationsmuster sind also in diesem Zusammenhang gedankliche Gebilde zu verstehen, die graphische Figurationen aus dem Sichtfeld mit abgeleiteten Bedeutungen betreffen. Die geometrische Form oder Ausbreitung der Muster im Sichtfeld orientiert sich an der identifizierten Ausprägung der Konstrukte der Ebene B und gegebenenfalls ergänzt durch Vorstellungen der Ebenen A. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Muster visuell-gedanklich aus eng zusammenliegenden Elementen mit repräsentierten Maximalwerten abgeleitet wird. Nach einem vorgegebenen Auftrag könnte daraus die Bedeutung „zentraler Bereich“, oder wie in Abbildung 42.7 gezeigt, „Häufung max. Werte“ abgeleitet werden. Oder es wird ein Muster aus einem Bereich verteilt liegender Minimumwerte abgeleitet, das zum Teil durch Bereiche mit hohen Werten abgegrenzt sein kann (Abb. 42.5 als „leeres Gebiet“). Bei der Musterbildung entsteht generell die Situation, dass bei Grenz- und Häufungsbildung wahrscheinlich keine andauernden Festlegungen erfolgen, so dass bei wiederholten Aktionen oder auch im laufenden Wahrnehmungsverlauf visuell-gedankliche Festlegungen aufgrund von im Moment erfolgten Vorstellungen verändert und korrigiert werden. Die geometrische Abgrenzung der Muster erfolgt über Folgen von fiktiven Elementen als gedanklich gebildete Grenzline, meist aber als unscharfer und sich als Vorstellung ändernder Abgrenzungsbereich, der in Abbildung 42.5 durch „Punktierung“ graphisch gekennzeichnet ist.

Abb. 42.5 Beispiele zur Abgrenzung von gedanklichen Informationsmustern und zur Bedeutungsbildung

Die visuell-gedanklichen Operationen mit Elementen, Einheiten und im Ergebnis mit Mustern werden im Wahrnehmungsvorgang durch die Konstruktionen der Kartographischen Modellformen unterschiedlich beeinflusst. Zur Bestimmung der Ausprägungen dieser Beeinflussung, wird für jede Einheit der Aufwand an Blickbewegungen bestimmt, der durch die Wahrnehmung des in der entsprechenden Position befindlichen Konstrukts der Ebene B erfolgt ist. Die Einheiten repräsentieren einen Wahrnehmungsauftrag, der die abzuleitende Bedeutungsstruktur bestimmt. Die gedankliche Ableitung von informationstragenden Elementen sowie die gedankliche Bildung von Mustern auf der Basis von vorgegebenen Elementen erfolgt also vermutlich, indem vorgestellte Muster der Ebene A der visuell erfassten Struktur der Ebene B angenähert werden. Diese Transformation ist gekennzeichnet durch eine spezifische Ausrichtung und Länge des Blickverlaufs mit Hilfe von Sakkaden und eine ausreichende Dauer von Fixationen an relevanten Positionen abzuleitender Muster. Zusammenfassend ergibt sich daraus die Annahme, dass die Transformation der in der Ebene B visuell abgeleiteten Elemente und Muster in die vorgestellte Form der Ebene A einen vergrößerten Aufwand an Blickbewegungen erforderlich macht.
Mit dieser theoretischen Annahme wird also nicht nur verifiziert, welche Art von Transformationen erfolgt ist, sondern es werden die visuell-gedanklichen Aufwendungen ermittelt, die zur Durchführung von Transformationen und zur Erreichung eines Wahrnehmungsauftrags im jeweiligen Bereich von Konstrukten erfolgt sind. Es ergibt sich aus den sieben untersuchten Modellformen und den erfassten Mustern ein Mittelwert des Aufwands an Blickbewegungen, zu dem die Werte der einzelnen Modellformen in Beziehung gestellt werden. So lässt sich zum Beispiel für eine bestimmte Modellform der Wert für die Blickbewegungent, der über dem Mittelwert liegt, als durchschnittlich größerer Aufwand interpretieren, als der für die Ableitung von Informationen im Zusammenhang mit der erfolgten Blickbewegung zur Deutung eines Konstruktbereiches oder Konstruktabschnitts der Ebene B erforderlich ist.
Die Elemente von Mustern können dabei von der inhaltlichen Ausprägung von Werten ähnlich strukturiert sein, aber von ihren flächenmäßigen Ausbreitungen im Sichtfeld unterschiedliche Formen annehmen. Oder die Elemente können eine Menge inhaltliche Zentren bilden, die auf die Ausbreitungen im Sichtfeld ausgerichtet sind. So können aufgrund der Verteilung der inhaltlichen Ausprägungen von Elementen im Bereich der Zentren steil ansteigende Werte unterschieden sein oder Zentren, bei denen die Elemente mit vergleichbaren Werten weiter verteilt ansteigend sind. Bei der Musterbildung entsteht generell die Situation, dass bei Grenz- und Häufungsbildung keine dauernden Festlegungen erfolgen müssen, so dass vermutet wird, dass bei wiederholten Prozessen oder auch im laufenden Wahrnehmungsprozess visuell-gedankliche Festlegungen aufgrund von im Moment erfolgten Vorstellungen verändert und korrigiert werden.

4.2.7 Transformation von Mustern

Die visuell-gedankliche Ableitung von Kartenelementen und Mustern wird erheblich gestört, einmal durch die Zweidimensionalität der graphischen Zeichen selbst, die die maßstäblich abgebildeten Objekte vergrößert und den angrenzenden Raum überdeckt bzw. verkleinert abbilden (vgl. Teil A, Abb.13.3 „Elemente im …(B) Zeichenraum“). Speziell bei den Kartographischen Modellformen treten Störungen in unterschiedlicher Form auf, indem die Identifizierung und Deutung von Element- und Musterausprägungen visuell eingeschränkt oder verzerrt werden. Im Rahmen des Analysemodells sind dazu Störungsgrößen vorgesehen, die sich aus dem Aufwand und der Struktur von Blickbewegungen ergeben, nach der die visuell-gedankliche Identifizierung der unterschiedlich gestörten Musterausprägungen erfolgt.
Formal ergibt sich im Wahrnehmungsvorgang ein Zusammenhang von optisch angebotenen Modellform-Konstrukten und abzuleitenden Informationen, die in Form von Musterausprägungen im Sichtfeld optisch eingeschränkt präsentiert und durch gedankliche Vorstellungen visuell ergänzt und korrigiert sein können. In der vorliegenden Untersuchung bestehen Aufträge für die Versuchspersonen, bestimmte Ausprägungen von Mustern als Informationen zu identifizieren und zu deuten. Das Erreichen des Auftragsergebnisses durch die VPn wird im Rahmen des Analysekonzepts bestimmt: Erstens als gedanklicher Aufwand, der für die Ableitung der visuell zugänglichen Musterausprägungen erforderlich ist, und zweitens als Aufwand für die visuell-gedanklichen Transformationen, die für den Ausgleich der von den jeweiligen Konstrukten ausgehenden Störungen wesentlich sind.
Beide Faktoren zusammen ergeben visuell-gedankliche Größen, die durch den Aufwand und die Strukturen von Blickbewegungen bestimmt werden.
In den folgenden zwei Untersuchungen wird zwischen individuell gestellten Aufträgen (U 2) und Aufträgen unterschieden, bei denen vorgegebene Wahrnehmungsziele zu erreichen sind (U 3). Im ersten Fall sollen im Sichtfeld angebotene optisch Reize in Verbindung mit den repräsentierten Inhalten nach selbst gestellten Aufträgen oder sich aus der Wahrnehmungssituation ergebenden Anreizen ermittelt und bewertet werden. Im zweiten Fall sollen Informationen in ihren Positionen, in ihren räumlichen Zuordnungen und in Abgrenzung zu ihren Umgebungen identifiziert werden. Oder es sind Wertausprägung zu bestimmen und datengenaue visuelle Positionierungen im Sichtfeld vorzunehmen.
Die Wirkungen bzw. Störungen, die von den sieben untersuchten Modellformen ausgehen, werden im Folgenden in ihren zentralen Bedingungen und Eigenschaften formal beschrieben. So ergeben sich Störfaktoren, die bei den Modellformen aufgrund ihrer graphischen Konstruktionsbedingungen zu unterschiedlichen Wirkungseigenschaften führen:
  • Konstruktionsbedingungen von Modellformen ergeben sich aus deren spezifischen konstruktiven Eigenarten sowie den abgebildeten Ausprägungen der repräsentierten Werte. Bei der Modellform Flächendiagramme werden beispielsweise die Konstruktionsbedingungen durch die Bereiche bestimmt, die durch die Diagramme in der Abbildungsebene optisch abgedeckt werden. Diese Bereiche weisen, in Abhängigkeit von den repräsentierten Werten, unterschiedliche Größen auf.
  • Wirkungseigenschaften von Modellformen werden als störende Eigenarten und Grad der Beeinflussung durch die entsprechenden Konstruktionsbedingungen bestimmt. So können beispielsweise durch die Modellform Gestufte Gittersignaturen Verzerrungen bei der Positionsbestimmung und bei der Identifizierung von Informationsgrößen auftreten. Diese Verzerrungen ergeben sich als Bedingung aus der Gitterstruktur der Modellform mit der Wirkungseigenschaft, dass sich eine Zufälligkeit bei der Abbildung von Lagepunkten und Elementgrößen ergibt.
Die konkrete Definition der Wirkung von Modellformen im kartographischen Wahrnehmungsprozess ist nur eingeschränkt möglich. Zur Formalisierung von Wirkungseinheiten lassen sich theoretische Ansätze unterscheiden, die zwei extreme Alternativen wiedergeben. Zum einen der Ansatz, die wirkenden Modellformen in einzelne graphische Elementmerkmale zu differenzieren und deren Wirkungen separat, in ihren Relationen und in aufsteigenden Einheiten zu ermitteln. So müsste etwa die Wirkung von Geraden, Kreisformen oder sich kontinuierlich ändernden Formen und Flächen in Relation zu gleichen oder anderen Elementen und deren Merkmalen definiert und erfasst werden. Es wird vielleicht deutlich, dass diese Vorgehensweise in forschungspraktischer Hinsicht und vermutlich auch von ihrer empirischen Umsetzung her nicht sinnvoll ist. So bietet sich ein weiterer Ansatz an, Konstruktionsbedingungen als zusammenfassende Einheiten zu definieren, die aufgrund praktisch geleiteter und hypothetischer Annahmen in ihren Wirkungseigenschaften den einzelnen Modellformen zukommen.
Im Folgenden werden unter A Konstruktionsbedingungen und Wirkungseigenschaften der sieben Kartographischen Modellformen differenziert und unter B beispielhaft geometrisch-räumliche Informationsmuster aufgeführt.
A Konstruktionsbedingungen und Wirkungseigenschaften
Es ist anzunehmen, dass die Konstruktionen der Modellformen bei der Informationsbildung einerseits Wirkungsbedingungen und -eigenschaften aufweisen und bewirken, die die hervorgerufenen visuellen Hindernisse bzw. Störungen betreffen und andererseits bei den Wahrnehmenden zu visuell-gedanklichen Transformation führen, die helfen, diese Hindernisse zu reduzieren oder aufzulösen. Bei jeder Modellformen lassen sich übergeordnete Konstruktionsbedingungen unterscheiden, die als Arbeitshypothese Hinweise auf mögliche einschränkende Wirkungseigenschaften geben, die mit Hilfe visuell-gedanklicher Transformationen durch den Wahrnehmenden ausgeglichen werden können:
  • Choroplethen „Parzellierung“: Die Modellform führt aufgrund ihrer Konstruktionsbedingungen zu einer deutlichen Aufteilung der  Flächengliederung, die eine visuell-gedankliche Musterbildung erschweren kann. Muster werden vermutlich als vereinfachte abgerundete Einheiten visuell abgeleitet und gedanklich weiterverarbeitet. Sie müssen daher erst durch eine Zergliederung und Zusammenfassung von Parzellen gebildet werden.
  • Gestufte Gittersignaturen „Verzerrung“: Aufgrund der Konstruktionsbedingungen der Modellform wird eine Datenebene erzeugt, deren Elemente und damit auch Elementabstände keine unmittelbaren Beziehungen zur Geometrie der Abbildungsebene aufweisen. Das bedeutet, dass Positionen von Daten, die innerhalb eines Gitterelementes liegen, unter Berücksichtigung der Weite des Gitters visuell-geometrisch auf den Mittelpunkt des jeweiligen Elementes positioniert werden. Damit erfolgt in der Regel eine optische Lageverzerrung sämtlicher Stützpunkte der Abbildungsebene.
  • Flächendiagramme „Überdeckung“: Die Konstruktionsbedingungen der Modellform führen aufgrund der Diagrammformen zu einer deutlich visuell abgehobenen Ebene des repräsentierten Themas zu der Datenebene. Dabei ist der Bezug zu den einzelnen Dateneinheiten zufällig und unterschiedlich ist. Bei der Wirkung der Modellformen ergeben sich durch die unterschiedlichen Diagrammgrößen wechselnde Abdeckungen von benachbarten Zeichenelementen. Es entstehen so Einschränken bei der visuellen Abgrenzung und Zuordnung von inhaltlichen Musterwerten.
  • Diskrete Niveauflächen „Ebenentrennung“:  Die Konstruktions-bedingungen der Modellform führen dazu, dass aufgrund der abgestuften, homogenen Farbflächen der Eindruck einer separaten Inhaltsebene zur geometrischen Datenebene entsteht. So ist es wahrscheinlich, dass als Wirkungseigenschaft bei der visuellen Zuordnung und Positionierung von bestimmten Informationsmustern, ein zusätzlicher visuell-gedanklicher Zerteilungs- und Zuordnungsprozess erforderlich ist.
  • Stetige Niveauflächen „Zergliederung“: Die Konstruktionsbedingungen der Modellform führen dazu, dass die kontinuierlich abgestuften Wertebereiche zusätzlich zu der Separierung der Inhaltsebene eine begrenzte Identifizierung, Abgrenzung und Positionierung von Werten und Wertbereichen ergeben. Daraus kann sich die Wirkungseigenschaft ergeben, dass bei der Zuordnung und Verknüpfungen von Informationsmustern mit der geometrischen Datenebene Fehler entstehen.
  • Schattierung „Sichtentrennung“: Die Konstruktionsbedingungen der Modellform führen aufgrund der verwendeten Methode der „Schräglichtschattierung“ dazu, dass das Sichtfeld  in zwei unterschiedlich helle Hälften von lokalen Sichtfeldbereichen zerfällt. Die sich daraus ergebenden Wirkungseigenschaften betreffen einmal die Identifizierung der räumlichen Verteilung von Minimal- und Maximalwerten, bei der vermutlich die Werte der optisch dominierenden Modellform eine Rolle spielen. Somit ist eine genaue Identifizierung von Werten oder Wertbereichen  zusätzlich durch die Schattentrennung der Sichtbereiche erschwert.
Die genannten Konstruktionsbedingungen und Wirkungseigenschaften der Modellformen sind hypothetischer Natur, resultieren aber aus langjährigen Beobachtungen, besonders im Rahmen von empirischen Untersuchungen. Die Funktion der Definitionen ergibt sich für die vorliegenden Untersuchungen generell aus der Möglichkeit, dass die Ausführung und der Erfolg eines gestellten Wahrnehmungsauftrags im Rahmen einer bestimmten Modellform durch die Identifizierung und Deutung von positionierten Blickbewegungsbereichen als Ausdruck eines gebildeten gedanklichen Informationsmusters überprüft werden können.
B Informationsmuster als geometrisch-räumliche Figurationen
Die Beurteilung der Funktionalität und Lesbarkeit von Kartographischen Modellformen bzw. von entsprechenden Karten (Kartenkategorien) orientiert sich in der Praxis meist an ihren geometrischen und graphischen Strukturen. Dabei hängen der Gebrauch und die Eignung bestimmter Karten im hohen Maß gleichfalls von dem Auftrag ab, dass bestimmte Fragestellungen auf die Ableitung konkreter Informationsmuster ausgerichtet sein können. So lassen sich bei der Ableitung Effekte unterscheiden, die durch die Verschiebung, Überdeckung, Verzerrung und Veränderung der Dimensionen von Zeichen bzw. Konstrukten hervorgerufen werden. Bei punkt-, strecken- und flächenhaftem Datenbezug kann die Wahrnehmung sowohl in ihrer Positionsbestimmung als auch in ihrer Zentrenbildung, Grenzbildung oder Ausdehnungsbestimmung beeinflusst sein. Aufgrund dieser möglichen Beeinflussungen des kartographischen Wahrnehmungsprozesses ist es für das Analysemodell erforderlich, formale Aufträge als Szenarien zu unterscheiden, wie sie in Kap. 4.2.6 schon theoretisch als „Informationsmuster“ beschrieben wurden.
Ein Wahrnehmungsauftrag kann darin bestehen, bestimmte Informationseinheiten, wie z.B. Zentren, Gruppen, Grenzbereiche, mit einer bestimmten Ausprägung als Maximal- und Minimalwerte oder Wertunterschiede in der Karte zu identifizieren. So sind dazu zwei visuell-gedankliche Prozeduren mit unterschiedlichen Voraussetzungen denkbar, bei denen Informationsmuster eine Rolle spielen. Die graphischen Muster, wie sie in Abbildung 4.27 angedeutet sind, stellen lediglich schematisierte Beispiele dar, wobei zu der gedanklichen Form und Struktur gedanklicher räumlicher Muster im angeführten kartographischen Kontext noch keine belegbaren Hinweise existieren.
Im ersten Fall werden im Rahmen eines Auftrags Informationsmuster vorgegeben. Im Wahrnehmungsprozess werden danach im Sichtfeld sukzessiv Elementhäufungen als Zielreize gesucht und diejenigen identifiziert, die strukturell den vorgestellten Mustern ähneln. Zur weiteren Verwendung wird die Elementhäufung durch gedankliche Zugabe oder Reduzierungen von Elementen an das vorgestellte Muster gedanklich angenähert, zur Umgebung abgegrenzt und in seiner Position festgelegt.

Im zweiten Fall werden keine Informationsmuster vorgegeben, sondern es sollen beliebige räumliche Ausdehnungen von Ansammlungen auf der Basis von bestimmten Wertausprägungen gefunden werden. Im Wahrnehmungsvorgang werden als Suchvorgang Gruppen gleicher oder ähnlicher Elemente sukzessiv verifiziert, indem diese durch visuelle Anregungen mit gedanklich verfügbaren und vorgestellten Elementen verknüpft werden.

Für die so entstehenden vagen Informationsmuster ergeben sich weitere gedankliche Vorgänge, wie etwa die Festigung der Zuordnung der Musterstruktur oder die geometrische Eingrenzung der Muster zur besseren Verwertung in Vergleichs- und Bewertungsprozessen.
Für das Analysemodell ergibt sich als auszuwertendes Ergebnis der Blickbewegungsmessung die Position eines Blickbewegungsbereichs mit Strukturen, die den Strukturen gleichen müssen, die für die jeweilige Modelform und das entsprechende Informationsmuster vorgegeben sind. Es ergibt sich formal eine große Anzahl von Informationsmustern, die mit unterschiedlicher Relevanz in Form von Aufträgen angegeben werden können. Im Folgenden werden dazu drei wesentliche Bereiche von Musterkategorien vorgestellt, die in der kartographischen Praxis und bei elementaren Raumanalysen eine Rolle spielen.
  • Zentren: Die elementarste Form der Identifizierung von Merkmalen im Kartenfeld ist das Auffindung von Einzelwerten und besonders von Maximalwerten, da diese häufig graphisch am deutlichsten gekennzeichnet sind. Die Werte können die Zentralität oder das Zentrum einer Ausbreitung oder Verteilung in einer Region oder im gesamten gültigen Sichtfeld repräsentieren. Zentren kommt in der Regel eine Zentrenausbreitung zu, also die räumliche und inhaltliche Umgebung eines Zentrums, das auch den Merkmalen einer Gruppierung entsprechen kann. So können zum Beispiel die Werte vom Zentrum aus räumlich gleichmäßig abnehmen oder von der Ausprägung her auch ungleichmäßig verteilt sein. Weiterhin ist eine Ausprägung der Zentrenverteilung feststellbar, das heißt isoliert auftretende Zentren oder Ballungen von Zentren, was auch ein Gruppierungsmerkmal sein kann.
  • Grenzen: Die geometrisch eindimensionale Musterkategorie Grenze oder Grenzbereich kann sich aus einer linear verlaufenden Folge von Elementen als Grenzlinie oder als Übergang von zwei aneinandergrenzenden Gebieten mit unterschiedlichen Wertausprägungen als Trennlinie ergeben. Gebiete, die durch eine Grenzlinie getrennt sind, müssen sich in ihren Wertausprägungen nicht unterscheiden. Gebiete, die eine Trennlinie bilden, sind dagegen durch  unterschiedliche Werte gekennzeichnet. Dabei ergibt sich meistens eine Übergangszone, in der die getrennten Gebiete an der Trennlinie jeweils unterschiedliche Ausprägungen von Werten aufweisen. Dies führt dazu, dass die Trennlinie bei abnehmenden graphischen Kontrasten visuell nur noch schwer zu identifizieren ist (vgl. Abb. 4.2.7). Ähnlich wie beim Zentrum, ergeben sich Grenzausbreitungen oder Grenzregion, in der die Werteausprägungen zur Grenze hin unterschiedliche Ausprägungen aufweisen.
  • Gruppierungen: Diese Musterkategorie spielt in der visuell-räumlichen, vor allem auch numerischen-räumlichen Analytik eine große Rolle. Es werden dabei, vor allem auch in Karten Gebiete digital bzw. visuell abgegrenzt oder auf der Basis von Elementen mit bestimmten Wertausprägungen zusammengefasst. Ein verwandter Begriff ist das Cluster als räumliche Konzentration miteinander verbundener Elemente, die einer bestimmten Kategorie angehören. Weitere verwandte Begriffe sind u.a. Gebiet, Verbund, Gruppe oder Ansammlung. Vor allem bei der visuellen Abgrenzung von Gruppierungen bzw. Clustern im Sichtfeld ergeben sich, wie auch bei der Grenzbildung, häufig Unsicherheiten in der genauen Zuordnung von Elementen zu Gruppierungen, da die räumliche und inhaltliche Verteilung von Wertausprägungen sehr unterschiedlich sein kann. So ist bei der visuellen Identifizierung von Gruppierungen, vor allem unter Berücksichtigung unterschiedlicher Parameter, mit Unsicherheiten zu rechnen.
Die Funktion kategorisierter Musterformen besteht darin, auf der Basis der sieben Modellformen empirisch abgesicherte Blickbewegungsstrukturen im Gesichtsfeld zu ermitteln. Die gewonnenen Strukturen sollen der Kontrolle und Positionsbestimmung dienen, um das angeregte Auffinden von  entsprechenden Informationsmustern im Sichtfeld zu unterstützen. Theoretisch gelten für das Konzept des Analysemodells natürlich nicht nur die drei genannten Musterkategorien, sondern besonders auch Muster, die sich aus der Verknüpfung von visuell gebildeten Relationen ergeben. Insgesamt muss nicht nur dieser Schritt der Normierung experimentell erfolgen, sondern auch weitere Bereiche des Analysemodells, bei denen sicherlich vergleichbare dynamische Vorgehensweisen erforderlich sind, was noch im nächsten Kapitel weiter ausgeführt wird.

4.2.8  Faktoren des Analysemodells

Nach der Definition und Beschreibung der einzelnen Faktoren des Analysemodells, sollen als Zusammenfassung deren synergetische Effekte herausgestellt werden. Wie das Schema der Abbildung 42.5 zeigt, stehen zuerst die Elemente der drei Ebenen A, B und C in unmittelbarer Beziehung zueinander, zum einen in ihren physikalischen Formen und Ausbreitungen und zum anderen in dem visuell-gedanklichen Zusammenwirken, nach denen sie aufgenommen und gedanklich verknüpft werden. Als ein dritter Aspekt kommt hinzu, wie sich beim Wahrnehmenden durch die Anleitung von Wahrnehmungsaufträgen aus Vorstellungen und Anreizen gedankliche Informationsmuster bilden und als Auftragsergebnis in Form von gemessenen Blickbewegungen in ihrer Position identifiziert und in ihrer Ausprägung analysiert werden. Das Zusammenwirken im konzipierten Analysemodell ergibt sich damit aufgrund folgender Voraussetzungen und Bedingungen:
Tab. C 42.1. Zusammenwirken im konzipierten Analysemodell
Die Definitionen und Festlegungen in Tab. C 42.1 machen noch nicht unmittelbar deutlich, welche Aufgaben und Prozesse insgesamt und im Detail für das Analysemodell konzipiert sind. Die Ausgangsüberlegung ist, dass – wie sich schon im Ablauf der Untersuchungen herausgestellt hatte – dem Modell im Zusammenhang mit den in der vorliegenden Arbeit erfolgten Wahrnehmungsuntersuchungen ein wichtiger Stellenwert zukommen kann. Das Problem, das sich ergab, lag darin, dass mit den umfangreichen Blickbewegungsuntersuchungen in U1 bis U3 nicht deutlich wurde, mit Hilfe welcher Prozessansätze sowie welcher Elemente und Positionen von Elementen im Sichtbereich bzw. in der Kartenvorlage von den Versuchspersonen tatsächlich durch bestimmte Blickbewegungsstrukturen visuell-gedanklich identifiziert und verarbeitet wurden. Dieses Defizit ergibt sich grundsätzlich bei der Untersuchung von räumlichen Szenen, für die zwar häufig aufwendige Analysemethoden existieren, nicht aber Methoden zur Identifizierung und Zuordnung von präsentierten graphischen bzw. bildlichen Elementen oder Mustern. Die Zuordnung erfolgt dazu lediglich als visuelle Interpretation mit meist geringem Erkenntnisgewinn.

4.2.9 Zusammenfassende Beispiele

Mit den folgenden Ausführungen werden für einen definierten Sichtbereich Kartographische Modellformen wie Flächendiagramme oder Diskrete Niveauflächen, bestimmt. Es wird gezeigt, wie mit Hilfe von empirischen Blickbewegungs- und digitalen Analysemethoden die Funktionen der entsprechenden Karten für die visuell-gedankliche Ableitung von Informationsmustern untersucht werden können.
Als erster Abschnitt ist für die vorgesehenen Modellformen eine Auswahl von Informationsmustern zu bestimmen, also beispielsweise „Zentralwert“ und „Grenzbereich“, deren visuelle Identifizierung in den beiden Sichtbereichen bzw. Modellformen untersucht und verglichen werden soll. Für die Informationsmuster sind entsprechende Mustertypen mit empirisch ermittelter Blickbewegungsstruktur erforderlich. Für ein kartographisches Forschungsvorhaben mit ähnlicher Thematik sollte ein Repertoire an Mustertypen zur Verfügung stehen oder in einem separaten empirischen und der Musteranalyse zugehörigen Projekt entwickelt werden. Dieser Entwicklung kommt ein wichtiger Stellenwert zu, da standardisierte Mustertypen für den Strukturvergleich mit zu identifizierenden Informationsmustern in einem Sichtfeld festgelegte Ähnlichkeitskriterien aufweisen müssen, um eine sichere Übereistimmung zu erreichen.
Als zweiter Abschnitt können im Rahmen von empirischen Blickbewegungsuntersuchungen unter Vorgabe von Sichtfeldern der beiden Modellformen auf der Basis der genannten Informationsmuster Blickbewegungsstrukturen erzeugt werden. Als Auftrag für die Versuchspersonen sollte zum Beispiel: „Identifizieren Sie Informationsmuster mit der Bedeutung, …“ vorgegeben sein. Für eine empirische Untersuchung müssten dann im Sichtbereich möglichst verschiedene Formen des entsprechenden Informationsmusters präsentiert sein und abgeleitet werden können. Als Ergebnis ergeben sich digitale Sichtfelder als generierte Blickbewegungsdateien. Die Dateien enthalten keine direkten Hinweise, ob und welche entsprechenden Informationsmuster im Sichtfeld identifiziert worden sind. Erst mit Hilfe des Analysekonzepts sollen diese Bereiche identifiziert und damit der Wahrnehmungsvorgang nachvollzogen werden können.
Als dritter Abschnitt erfolgt der eigentliche Analyseschritt, bei dem die erzeugten Sichtfelder bzw. deren zugehörigen Blickbewegungsstrukturen nach den identifizierten Informationsmustern und ihren Positionen durchsucht werden. Dabei müssen zwei grundlegende Bedingungen erfüllt sein. Erstens müssen Typen von Mustern (Mustertypen) zur Verfügung stehen, die hinsichtlich ihrer Blickbewegungsstruktur die charakteristischen Merkmale des jeweils repräsentierten bzw. abgebildeten Musters aufweisen. Zweitens müssen die Mustertypen nach den zu analysierenden Modellform unterschieden sein. Das heißt beispielsweise, es muss gegebenenfalls ein Mustertyp mit dem Merkmal „Zentralität“ für die Modellform „Choroplethen“ definiert sein und als typisiertes Blickbewegungsmuster zur Verfügung stehen. Die Generierung und Einhaltung dieser Bedingungen erfordert sicherlich umfangreiche empirische und datenstrukturelle Untersuchen. Mit Hilfe von Mustertypen sollte es dann durch automatischen Mustervergleich aufgrund von „Ähnlichkeitskriterien“ möglich sein, in einem Sichtbereich von Blickbewegungsstrukturen die darin gesuchten und platzierten Musterstrukturen zu identifizieren.

Beim automatischen Vergleich eines bestimmten Mustertyps mit dem jeweils gefundenen Informationsmuster im Gesichtsfeld kann  aufgrund der Ähnlichkeit der beiden erzeugten Blickbewegungsmuster mit großer Sicherheit registriert werden, dass die im Auftrag angegebene Figuration von dem entsprechenden Wahrnehmenden tatsächlich visuell-gedanklich identifiziert wurde.