B 3.2 Informationen in Karten und anderen Medien

3.2 Informationen in Karten und anderen Medien

Als Einführung zu diesem Kapitel wird ein „Szenarium“ vorgestellt, in dem unterschiedliche Handlungs- und Kommunikationssituation eine Rolle spielen. So werden im Rahmen des Handlungsfeldes „Führung und Leitung“ folgende (elektronische) Karten und andere Medien verwendet (vgl. Kap. 2.3): Als Beispiel wird das Handlungsfeld „Führung und Leitung“ vorgestellt:

„Mobile und ubiquitäre kartographische Mediensysteme werden als Entscheidungs- und Kontrollinstrumentarien eingesetzt. Sie sind in Führungs- und Einsatzleitsystemen oder in entscheidungsunterstützenden Systemen integriert, die in Echtzeit bei der Planung und beim Einsatz in Krisensituationen ohne Unterbrechung arbeiten und mithilfe halbautomatischer Verfahren die Organisation von Abläufen unterstützen. Kartographische Medien sind dabei auf die Unterstützung von Beobachtungs-, Überwachungs-, Analyse- und Diagnosevorgänge zur Einschätzung von Umwelt- und Krisensituationen ausgerichtet. Die Präsentation von Karten erfolgt in kurzen Zeitintervallen und mit topographischen und thematischen Informationen, die der jeweils aktuellen georäumlichen Handlungssituation angepasst sind. Diese Informationen stammen i. d. R. aus unterschiedlichen Quellen und umfassen neben Karteninformationen z. B. Daten, Graphiken, Texte, Bewegtbilder und akustische Informationen, die multimedial verknüpft genutzt werden“ (Bollmann et al. 2002 Bollmann, J. u. Uthe, A.-D. (2002): Raumbezogenes Handeln und Angewandte Kartographie. In: Lexikon der Kartographie und Geomatik. 2, Heidelberg).

Kartographische Mediensysteme werden für Entscheidungen und zur Kontrolle eingesetzt und arbeiten in Echtzeit bei der Planung und beim Einsatz in Krisensituationen.

Die  Informationen stammen aus unterschiedlichen Quellen; sie umfassen Informationen aus anderen Karten,  aus Texten, Statistiken, Graphiken, Bildern; zusammen mit  akustischen Informationen, werden sie multimedial vermittelt.

Bei der aufgeführten Nutzung von Daten und Informationen durch unterschiedliche Medien können „Informationsverluste“ (Wissensverluste) entstehen, wie etwa die Reduzierung von „quantitativen Größen“ zu „Ordnungsgrößen“ oder die Umwandlung von „geometrischen Relationen“ in „topologische Relationen“. Das bedeutet, dass detaillierte und “schwer zugängliche“ Muster gedanklich in „merkfähige“ Einheiten überführt werden, so dass diese Informationsverluste auch zu Vorteilen bei der Weiterverarbeitung führen können. Bei der Nutzung von Daten und Informationen durch unterschiedliche Medien können „Transformationsverluste“ entstehen.

 

 

Abb. 32.1 Kartographische Medien (aus Bollmann 2002kBollmann, J. (2002k): Kartographische Medien. In: Lexikon der Kartographie und Geomatik, 2, Heidelberg.)

3.2.1 Zeichentheoretische Ansätze

Zur Ableitung von Informationen aus Medien hat Charles Morris im Rahmen seiner Zeichentheorie schon Ende der 1940er Jahre eine Systematik vorgestellt, mit der die Funktion von Zeichen in Handlungsprozessen differenziert werden kann (Morris 1949Morris, C. W. (1949): Signs, Language and Behavior. New York). Diese Systematik ist auch heute noch aktuell, wie es beispielsweise für den Bereich der Wirtschaftswissenschaften gezeigt wird (vgl. Schemann 2000Schemann, H. (2000): Professionalisierung und/oder Kunst der Führung von Unternehmen. Die Rekrutierung und Selektion von Führungspersonal im sozialen Kontext. Münster, Weinreich 2009, S. 97fWeinreich, J. (2009): Globalisierung und Wissensgesellschaft. Historische und Neurophysiologische Metaformate der Entwicklung von Neuerungen (Innovationen). Diss. Universität Kassel). Ulrich FreitagFreitag, U. (1977): Pragmatische Aspekte der Kartographie in Entwicklungsländern. KN, 2, 171-182 hat die Systematik auf den Bereich der Kartographie übertragen (1977Freitag, U. (1977): Pragmatische Aspekte der Kartographie in Entwicklungsländern. KN, 2, 171-182). Die Funktion von Zeichen wird danach durch folgende Kriterien unterschieden: Charles Morris hat eine Systematik vorgestellt, die die Funktion von Zeichen im Handlungsprozess differenzieren soll. Ulrich Freitag hat die Systematik auf den Bereich der Kartographie übertragen:
  • „Aufmerksamkeit auf Objekte und Sachverhalte lenken“ als Designatoren;
  • „Wichtigkeit von Objekten betonen“ und eine Bevorzugung hervorrufen als Appraisoren;
  • „Bestimmte Antworten und eine Veränderung des Verhaltens hervorrufen“ als Preskriptoren;
  • „Das gegenseitige Verhältnis zwischen verschiedenen Verhaltensweisen  organisieren“, um die beste Verhaltensweise ableiten zu können als Formatoren.
Es werden folgende Begriffe für die Funktion von Zeichen unterschieden:

Designatoren,
Appraisoren,
Preskriptoren,

Formatoren.

Diese Funktionen sind besonders hinsichtlich ihrer Wirkungen im Rahmen  verschiedener Medienanwendungen interessant, das heißt mit der Frage verbunden, durch welche Funktionen von Zeichen bestimmte Verhaltensweisen beim Nutzer ausgelöst werden (vgl. Abb. 32.1). Wie die neusten Entwicklungen im Bereich Elektronischer Medien aber zeigen, vollziehen sich auf dem gesamten Gebiet der Kommunikation tiefgreifende Veränderungen, so dass eine Überprüfung der von Morris entwickelten Zeichenfunktionen vor allem hinsichtlich ihrer Relevanz und Wirkung für die Wissensbildung erforderlich ist. Dies Funktionen können besonders durch bestimmte Kodierungs-, Wissens- und Kommunikationsformen erreicht werden?
Auch speziell für den Bereich der Kartographie ist in den 1960er Jahren mit dem semiologischen Ansatz von Bertin eine deutliche zeichentheoretische Unterscheidung von Abbildungsformen vorgenommen worden (Bertin 1974Bertin, J. (1974): Graphische Semiologie. Diagramme, Netze, Karten. Berlin, New York). Aus dieser Unterscheidung kann indirekt abgeleitet werden, mit Hilfe welcher Kodierungsformen bestimmte Sachverhaltsstrukturen am besten repräsentiert und übertragen werden können. Folgende drei Abbildungsformen werden bei Bertin unterschieden (vgl. Abb. 32.2): Von Bertin wurden  Abbildungsformen für georäumlich arbeitende Disziplinen dargestellt:
  • Diagramme: graphische Abbildung von Wertgrößen und -beziehungen;
  • Netze: graphische Abbildung von Wertgrößen und -beziehungen auf der Basis topologischer Relationen (Verbindungen, Reihen, Nachbarschaften);
  • Karten (kartographische Medien): graphische Abbildung von Objekten und Klassenmerkmalen auf der Basis erdbezogener Grundrisse.

georaeumliche_abbildungsformen

Abb. 32.2
Georäumliche Abbildungsformen nach Bertin

Mit Hilfe der genannten graphischen Kodierungsformen sollen strukturelle Informationen abgeleitet werden, die sich aus der Beziehung von graphischen Elementen ergeben. Dieser strukturelle Ansatz der visuellen Wahrnehmung ist verwandt mit mathematisch-statistischen Verfahren, mit deren Hilfe quantitative Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen räumlichen Daten errechnet und die Ergebnisse häufig in Form von Diagrammen dargestellt werden. Diagramme sind  in der Regel bei der visuellen Ableitung von georäumlichen Informationen kartographischen Abbildungsformen unterlegen, da aus Karten „unmittelbar“ georäumliche Strukturen abgeleitet werden können, was bei Diagrammen nicht möglich ist. Allerdings sind für viele Aufgaben und Tätigkeiten im Rahmen von Handlungsfeldern numerische Daten und Statistiken besser geeignet, da verschiedene Sachverhalte, aufgrund der ihnen zu Grunde liegenden  technisch-statistischen Erfassungs- und Verarbeitungsverfahren, quantitativ beschrieben und ausgewertet werden können. Insgesamt kann aber auch hier festgehalten werden, dass  die genannten graphischen Abbildungsformen nach Bertin heute nicht mehr allein ausreichen, um das gesamte Wirkungsspektrum von Medien im Rahmen von Datenanalysen und  Kommunikationsprozessen beschreiben zu können. Mit Hilfe der genannten graphischen Kodierungsformen sollen strukturelle Informationen abgeleitet werden, die sich aus der Beziehung von graphischen Elementen ergeben.

 

Dies ist vergleichbar mit strukturellen Informationen, die aus numerischen Werten abgeleitet werden können.

3.2.2 Abbildungen und Kodierungsformen

Beim Vergleich von Abbildungs- bzw. Kodierungsformen zeigt sich, dass zunehmend Bildern eine größere Bedeutung zukommt, wobei diese optisch und technisch u.a. in Form von Filmen, als 3-dimensionale bzw. virtuelle Szenen und Modelle, als „erweiterte Realitäten“ (augmented reality) und nicht zuletzt als „Luftaufnahmen“ in verschiedenen Variationen präsentiert werden (vgl. Kap.2.1.4). Bei diesen Abbildungsformen ist der Übergang zwischen Aufriss-, Grundriss, und Schrägansicht eher fließend, so dass deren Relevanz für georäumliche Fragestellungen oder für Problemlösungen häufig nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Für die Einschätzung von Wahrnehmungssituationen und für den Gehalt von Informationen stellen bildhafte Präsentationen (Bilder) die Alternative zu Karten bzw. zu sogenannten „logischen Graphiken“ dar (vgl. Weidenmann 1994aWeidenmann, B., Hrsg. (1994a): Wissenserwerb mit Bildern. Bern). Dabei sind bei Bildern, vor allem bei Luftbildern, für die visuelle Ableitung von Informationen anderes Erfahrungswissen und andere Fähigkeiten erforderlich als bei Karten. So ist bei Luftbildern beispielsweise für die Ableitung von Klassen aus angebotenen Objektmerkmalen umfangreiches „inhaltliches“ Wissen erforderlich. In Karten werden substantielle Merkmale von Objekten dagegen graphisch unmittelbar in Form von Klassen angeboten und sind daher leichter zu identifizieren. Bildern kommt für die Gewinnung und Übermittlung von Informationen zunehmend eine größere Bedeutung zu
Ein besonderer Stellenwert kommt Texten und (statistischen) Werten zu.  Da vor allem der Sprachtext besonders eng mit „Denkstrukturen“ verwandt ist (als sogenannter „Primärkode“), führt dieser in der Regel bei der gedanklichen Verarbeitung zu unmittelbaren gedanklichen Assoziationen. Numerische Werte sind dagegen abstrakter, so dass für ihre Wahrnehmung, die Ableitung von Informationen und die Bildung von Wissen spezielles Wissen erforderlich ist. Dagegen ist ein „numerischer Ausdruck“ in der Regel besser nachvollziehbar und gedanklich zu überprüfen, als dies bei sprachlichen Texten der Fall ist. Interessant ist der Stellenwert von Texten  und numerischen Werten:

  • Texte sind besonders eng mit „Denkstrukturen“ verwandt.
  • numerische Werte sind abstrakter; zu ihrer Verarbeitung ist  spezifisches Wissen erforderlich.

parallele_informationsverarbeitung

Tab. 32.1
Parallele Informationsverarbeitung

Schon die wenigen Beispiele zeigen, dass jeder dieser Repräsentationsformen über spezifische Bedingungen der visuellen Informationsübertragung verfügen und ihnen daher im Kommunikations- oder Arbeitsprozess ganz charakteristische Funktionen zukommen können. Eine Erweiterung dieser Funktionen und Wirkungen kann durch das gleichzeitige Angebot visueller und akustischer Kodes erreicht werden (vgl. Tab. 32.1). Diese Erweiterung, die als „Duale Kodierung“ von Paivio (1986)Paivio, A (1986): Mental representations: a dual coding approach. Oxford. erstmals beschrieben wurde, kann zur Unterstützung der Informations- und Wissensaufnahme führen und wird besonders im Rahmen von modernen Kommunikationssystemen genutzt (z.B. Navigationssystemen). Repräsentationsformen verfügen über spezifische Eigenschaften der visuellen Informationsübertragung. Ihnen kommen daher charakteristische Funktionen im Kommunikations- oder Arbeitsprozess zu.
Für die Einschätzung von Medienwirkung im Handlungsraum müssen Übertragungsformen und der Gehalt von Informationen und Wissen verglichen und bewertet werden. Die in Tab. 32.2 aufgeführte Gegenüberstellung von „Sprache, Medien und Kodes“ soll dazu erste Hinweise geben. Zu den aufgeführten „Funktionen“ und „Wirkungen“ von Präsentationen fehlen allerdings noch konkretere vergleichende Erkenntnisse, die auch bisher m. E. noch nicht in ausreichender Form vorliegen. Für die Einschätzung von Medienwirkung im Handlungsraum werden Übertragungsformen und der Gehalt von Informationen und Wissen verglichen und bewertet.

Tab. 32.2
Eigenschaften und Wirkungen ausgewählter Medien

Die Einteilung in Tabelle 32.2 berücksichtigt die wichtigsten Medien- und Präsentationsformen, die in Handlungsprozessen im Zusammenhang mit Kartographischen Präsentationen eine Rolle spielen können. Allerdings sind nicht nur die Eigenschaften und Wirkungen der Präsentationen von Interesse, sondern zusätzlich die Frage, in welcher Form und eventuell mit welchen Problemen der gedankliche Transfer von Informationen und Wissen zwischen Kartographischen Medien und anderen Präsentationsformen gekennzeichnet ist. Dabei bezieht sich diese Frage nicht nur auf den gedanklichen Aspekt des Transfers oder Austauschs, sondern auch auf die wechselnden Wahrnehmungssituationen, auf die der Organismus sich einstellen muss. Eine wichtige Überlegung dazu ist, welche Merkmalsunterschiede bei einem Wechsel zwischen „Karten“, „Karten ähnlichen“ und anderen „Medien“ auftreten können, um daraus die Bedingungen für die sich jeweils ergebenden Wahrnehmungssituationen erkennen zu können. Welche Merkmalunterschiede von Informationen ergeben sich bei einem Wechsel zwischen „Karten“, „Karten ähnlichen“ und anderen „Medien“?
Mit der folgenden Übersicht soll angedeutet werden, was visuell und gedanklich geschehen kann, wenn in einem Handlungsprozess Informationen aus verschiedenen Medien genutzt oder wenn Informationen zwischen ihnen ausgetauscht werden. In der Systematik sind die wichtigsten Merkmale aufgeführt, die sich von der Merkmalstruktur einer „durchschnittlichen“ Kartenpräsentation unterscheiden. In der Aufzählung wird also ein Merkmalwechsel von einer „Karte“ zu dem jeweils aufgeführten Medium dargestellt : In der Übersicht sind  Merkmale aufgeführt, die sich von der Merkmalstruktur einer fiktiven „kartographischen Präsentation“ unterscheiden:
  •  Wechsel in eine Kartenpräsentation, die über dieselbe Kartenstruktur (z.B. Kartenduktus, Kartenwerk) verfügt;
    Merkmaldifferenz: andere georäumlich Bezüge, neue Positionsverhältnisse im Kartenfeld.
Wechsel in eine andere Präsentation  mit derselben „Kartenstruktur“;
  • Wechsel in eine Kartenpräsentation mit einer anderen „Kartenstruktur“;
    Merkmaldifferenz: andere Kartographische Modellform, Dimensionalität der Abbildung, thematische Ausrichtung, Kartenprojektion, anderer Maßstab;
Wechsel in eine andere Präsentation mit einer anderen „Kartenstruktur“;
  •  Wechsel in eine „bildhafte“ georäumliche Präsentation“ (Luftbild, Satellitenbild);
    Merkmaldifferenz: fehlende Klassenbildung, keine Isoliertheit der abgebildeten Objekte, keine formalisierte und vereinfachte Struktur;
Wechsel in eine „bildhafte“ georäumliche Präsentation;
  • Wechsel in eine graphische Präsentation mit „logischer Struktur“ (Diagramme, Netze);
    Merkmaldifferenz: keine Objektgrundrisse, keine unmittelbar vergleichbaren euklidischen Merkmale;
Wechsel in Diagramme und Netze;
  • Wechsel in eine Präsentation mit Bildstruktur ohne georäumliche und ohne logische Struktur („Aufriss“ als Fotographie, bildhafte Graphik etc.);
    Merkmaldifferenz: verzerrte euklidische Größen und Relationen;
Wechsel in eine Präsentation mit Bildstruktur ohne georäumliche und ohne logische Struktur;
  • Wechsel in einen Schrift-Text oder in eine „Sprachansage“;
    Merkmaldifferenz: keine unmittelbar vergleichbaren Kodierungsmerkmale;
Wechsel in einen „Schrift-Text“ oder eine „Sprachansage“;
Diese Systematik kann auf ein Szenarium übertragen werden, bei dem „gedankliche Defizite“ oder ein zusätzlicher „Bedarf“ bei der Informations- und Wissensbildung aufgetreten sind und die durch Wechsel in ein anderes Medium ausgeglichen werden soll. Die aufgeführten Merkmaldifferenzen zeigen damit den Unterschied im optischen und inhaltlichen Angebot, auf das sich der Organismus beim Wechsel visuell und kognitiv einstellen muss. Es sind allerdings lediglich Kriterien aufgeführt, die unmittelbar aus der Struktur der Medien resultieren. Es wirken in diesem Zusammenhang aber weitere wichtige situative und kommunikative Faktoren. Dies sind u.a. die Vorgehensweisen und die Ziele, die erreicht werden sollen, also ob Medien gleichzeitig, alternativ-wechselnd oder als Folge genutzt werden, ob Wissenselemente überprüft, ergänzt oder erweitert werden und ob der Wechsel in einem kommunikativen Diskurs eingebunden ist oder ob es sich um einen individuellen Arbeitsprozess handelt. Diese situativen und sozialbedingten Faktoren führen zu unterschiedlichen Positionen und Einstellungen beim Wahrnehmenden bzw. Kommunizierenden und können den Ablauf und die Ausrichtung eines Wahrnehmungsprozess deutlich mitbestimmen. Die Systematik kann für ein  Szenarium gelten, bei dem „gedankliche Defizite“ oder ein zusätzlicher „Bedarf“ bei der Informations- und Wissensbildung aufgetreten ist und der durch Wechsel in ein anderes Medium ausgeglichen werden soll.

arbeitsformen-mit-karten1

Abb. 32.3
Beispiel für Arbeitsformen mit Karten I

Abb. 32.4
Beispiel für Arbeitsformen mit Karten II

Abb. 32.5
Beispiel für Arbeitsformen mit Karten III

3.2.3 Arbeits- und Wahrnehmungssituation

Für einige kartographische Anwendungsbereiche haben sich völlig neue Bedingungen der Wahrnehmung ergeben, die vorwiegend durch technologische Entwicklungen verursacht wurden. Bei diesen Bedingungen handelt es sich häufig um situationsspezifische und praktische Aspekte der Wahrnehmung, die in wissenschaftlichen Untersuchungen häufig vernachlässigt werden. Ausgenommen davon sind allerdings besonders Untersuchungen der Arbeitswissenschaften bzw. der Arbeitspsychologie, bei denen durchaus situative Fragstellungen eine Rolle spielen können (vgl. z.B. Schlick et al. 2010Schlick, Ch.M., Bruder, R. u. Luczak, H. (2010): Arbeitswissenschaft. Berlin, Ulich 2011Ulich, E. (2011): Arbeitspsychologie. Stuttgart). Für die Kartographie haben sich neue Bedingungen der Wahrnehmung ergeben.

Dies sind häufig praktisch Aspekte der Wahrnehmung, die zum Teil in den  Arbeitswissenschaften untersucht werden.

Zur Untersuchung dieses Sachverhalts, ist an der Universität Trier im Rahmen der kartographischen Lehre und Forschung eine Kombination von „Arbeitssituationen“ konzipiert worden, mit deren Hilfe aktuelle Wahrnehmungsprozesse beispielhaft demonstriert und analysiert werden können. Ein gewisser Anteil der Arbeitssituationen, die in den folgenden Abbildungen gezeigt sind, wurden für die praktische Anwendung konzipiert, organisiert und in der Lehre praktisch erprobt. Außerdem wurden einige Situationen als Parameter in wissenschaftlichen Arbeiten berücksichtigt und hinsichtlich ihrer Wirkungen empirisch untersucht (vgl. Servatius 2009Servatius, K. (2009): Dynamische Unterstützungsformen in Kartographischen Medien. In: Beiträge zur kartographischen Informationsverarbeitung, 15, Universität Trier, Reinermann-Matatko 2008Reinermann-Matatko, A. (2008): Kartographische Medien zur Entscheidungsunterstützung: Empirische Untersuchungen georäumlicher Visualisierungen im Rahmen des Trierer Kommunalhaushalts. Diss., Universität Trier). An der Universität Trier sind „Arbeitssituationen“ konzipiert worden, mit deren Hilfe aktuelle Wahrnehmungsprozesse  analysiert werden können.
Das Konzept stützt sich auf drei Wahrnehmungsfaktoren, die sowohl den Wahrnehmungsprozess selbst, als auch die zu Grunde liegenden Arbeits- und Kommunikationsprozesse betrifft (vgl. dazu Abb. 32.3, Abb. 32.4 und Abb. 32.5): Drei Wahrnehmungsfaktoren:
  • Abbildungsform,
  • Präsentationsform,
  • Arbeitsform.
Die Unterscheidung von „Projektiver Abbildungsform“ hat sich in Trier zu einem wichtigen Kriterium der kartographischen Lehre und Forschung entwickelt. Sowohl für Vorlesungen und Seminaren als auch für praktische Übungen werden zunehmend 3D-Abbildungen eingesetzt und daher bei empirischen Untersuchungen im Rahmen der Lehre sowie der Forschung berücksichtigt. Auf der anderen Seite haben 2D-Abbildungen durchaus noch bei Geländearbeiten eine wichtige Funktion, außerdem bei  Medienvergleichen im Gelände, in denen der Stellenwert von „Karten“, „Videofilmen“ und „erlebter Realität“ im Zusammenhang mit der Ableitung von  Informationen untersucht wurde. Ergebnisse zu diesen Vergleichen werden in Teil C der Arbeit dargestellt. Die Differenzierung von 2D-, 2½D- und 3D-Abbildungsformen hat sich zu einem wichtigen Kriterium der kartographischen Lehre und Forschung in Trier entwickelt.
Mit dem in den Abbildungen unter „Präsentationsform“ aufgeführten Begriff „statische Präsentation“, wird die Nutzung von Karten auf Papier und gleichfalls die elektronisch-optische Präsentation auf einem Bildschirm verstanden. Für Wahrnehmungsprozesse werden damit für beide Präsentationsformen die gleichen Bedingungen vorausgesetzt. Mit „animierter Präsentationist die kinematische also bewegliche Abbildung von Prozessen und Abläufen gemeint („Computeranimation“). Zentrale Abbildungsform  ist zurzeit die „interaktive und navigatorische Präsentation, bei der die Kartengraphik, der Karteninhalt, der virtuelle Standort und die Blickposition im Kartenbild verändert werden können. Besonders diese interaktiven Möglichkeiten der Bildschirmarbeiten haben heute den Charakter der Kartennutzung verändert. Die letzte Form, die unterschieden wird, ist die „VR-Präsentation“ (VR = Virtuelle Realität), bei der raumplastische Effekte (Stereoskopie) mit der optischen Ausrichtung (Tracking) von Abbildungen in „Virtuellen Landschaften“ verbunden sind. Diese Präsentationssituation ist an der Universität Trier im Labor für Empirische Kartographie installiert und wird für empirische Untersuchungen genutzt. Die zentrale Abbildungsform ist zurzeit die „interaktive und navigatorische Kartengraphik“.

 

Systeme für „VR-Präsentationen“ sind im Labor für Empirische Kartographie installiert.

Als dritter Faktor werden „Arbeitsformen mit kartographischen Medien“ unterschieden. Dazu gehört die „Individuelle Arbeit“, also die Arbeit am Einzelarbeitsplatz z.B. mit Hilfe von Geoinformationssystemen. Zweites die „kooperative/kollaborative Arbeit“ als gemeinsame Arbeit in einer Gruppe oder an einem Objekt mit vernetzten Arbeitsplätzen. Drittens die „Arbeit im Gelände“, z.B. als Arbeit zwischen Gelände und Labor (Telematik). Und viertens die „Gruppenkommunikation“ als Informationsaustausch in medialer Umgebung, z.B. in Form einer Videokonferenz. Die genannten Beispiele von „Arbeitsformen “ sind an der Universität Trier als Systeme installiert bzw. getestet worden.
Die hier genannten Beispiele kartographischer „Arbeitsformen“ verdeutlichen, dass sich aktuelle kartographische Anwendungsfelder auf hochtechnisierte Systeme und Medien stützen, dass aber der Kern der Informationsübertragung gleichfalls auf der Basis tradierter Abbildungsformen erfolgt. Besonders die zugrundliegenden digitalen Daten führen häufig, zusammen mit automatisierten Kodierungs- und Abbildungsverfahren,  zu Zeit- und Kostenersparnissen, ändern aber kaum etwas an der „Grundstruktur“ georäumlicher Szenarien. In der Zukunft werden vermutlich neue graphische Modelle entstehen, deren Strukturen sich an dem „technisch Machbaren“ orientieren. Unabhängig davon, sollte bei diesen Entwicklungen aber vor allem das Ziel im Vordergrund stehen, die visuellen, kognitiven und kommunikativen Bedingungen des georäumlichen Wissenstransfers zu verbessern. Aktuelle kartographische Anwendungsfelder stützen sich auf hochtechnisierte Systeme und Medien. Der Kern der Informationsübertragung erfolgt aber auf der Basis tradierter Abbildungsformen.